Dornenschwestern (German Edition)
gekleideten Ritter des Haushalts meine Hofdamen zur königlichen Kapelle führen. Wir reihen uns auf. Der König lässt uns oft warten, doch dann ist ein Rascheln zu vernehmen, und einige Hofdamen schnappen nach Luft, als er ganz in Weiß und Silber gekleidet hereinkommt, die Königin am Arm. Auch sie trägt Weiß und Silber und strahlt in der düsteren königlichen Kapelle, als würde sie vom Mond beschienen. Ihr helles, goldenes Haar schaut nur ein wenig unter der Krone heraus, der Ausschnitt ihres Kleids ist tief und rechteckig und mit feinster Spitze besetzt. Hinter ihnen kommen ihre Kinder, zuerst der junge Prince of Wales, sechs Jahre alt, und dann die Kinderfrau mit dem kleinen Prinzen an der Hand, in einem Kleidchen in Weiß und Silber. Ihm folgt Prinzessin Elizabeth, in Weiß und Silber gekleidet wie ihre Eltern, mit feierlichem Gesicht und einem elfenbeinfarbenen Messbuch in der Hand. Selbstsicher und altklug wie immer wirft sie den Anwesenden mal auf der einen, mal auf der anderen Seite ein Lächeln zu. Nach ihr kommen die drei schönen, prunkvoll gekleideten jüngeren Mädchen und die Kleinste. Ich betrachte sie neidisch und achte darauf, wie der ganze Hof zu lächeln, als die erlesene königliche Familie vorbeizieht. Die grauen Augen der Königin huschen über mich hinweg, und ich spüre ihren kalten, durchdringenden Blick, als wüsste sie, was ich fühle, als wüsste sie, dass ich Angst habe. Zum Schluss betritt der Priester die Kapelle, ich knie mich hin und schließe die Augen, um ihren Anblick nicht länger ertragen zu müssen.
Als wir in unser Audienzzimmer zurückkehren, wartet vor der geschlossenen Doppeltür ein Mann, noch schmutzig von der Reise: Seinen nassen, verdreckten Umhang hat er auf die Steinfensterbank geworfen. Unsere Wache versperrt ihm die Tür.
«Was ist?», fragt Richard.
Er sinkt auf ein Knie und reicht ihm einen Brief. Richard bricht das rote Wachssiegel auf und liest die wenigen Zeilen. Seine Miene verfinstert sich, und er sieht mich an, bevor er den Blick wieder auf das Schreiben richtet.
«Was ist los?» Ich bringe es nicht über mich, meine Befürchtungen auszusprechen – vielleicht ist es ein Brief aus Middleham, und unserem Sohn ist etwas passiert. «Sprich schon, Richard! Ich bitte dich …» Ich schnappe nach Luft.
Über die Schulter nickt Richard einem Ritter seines Haushalts zu. «Wartet dort. Haltet den Boten fest, ich will ihn noch sprechen. Sorgt dafür, dass er bis dahin mit niemandem redet.»
Er nimmt mich am Arm und führt mich durch unser Audienzzimmer und durch mein Privatgemach in mein Schlafzimmer, wo uns niemand stören kann.
«Richard?», flüstere ich. «Um Himmels willen, was ist? Ist etwas mit unserem Jungen, Edward?»
«Es ist deine Schwester.» Er spricht so leise, dass es fast wie eine Frage klingt, als könnte er selbst nicht glauben, was er da gelesen hat. «Es geht um deine Schwester.»
«Isabel?»
«Ja. Meine Liebe, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll. George hat geschrieben … der Brief ist von ihm, er bittet mich, es dir zu sagen, aber ich weiß nicht, wie …»
«Was? Was ist mit ihr?»
«Meine Liebe, mein armer Schatz … sie ist tot. George schreibt, dass sie tot ist.»
Im ersten Augenblick kann ich die Worte nicht verstehen. Dann habe ich das Gefühl, meine Ohren würden dröhnen, als stünde ich direkt neben einer Glocke, hier, in meinem Schlafgemach, wo ich erst vor zwei Stunden mein Kleid angezogen und die Rubine dazu ausgewählt habe.
«Isabel?»
«Ja. Sie ist tot, schreibt George.»
«Aber wie? Es ging ihr doch gut, sie hat mir geschrieben, es sei eine leichte Geburt gewesen. Ich habe ihren Brief bekommen, sie war so stolz. Es ging ihr sehr gut, sie bat mich, sie zu besuchen und …»
Er verharrt, als zögerte er mit einer Antwort. «Ich weiß nicht, was geschehen ist. Deswegen will ich mit dem Boten sprechen.»
«War sie krank?»
«Ich weiß es nicht.»
«Hatte sie Kindbettfieber? Hat sie geblutet?»
«George schreibt nichts dergleichen.»
«Was schreibt er denn?»
Einen Augenblick denke ich, er weigert sich, mir zu antworten, doch dann faltet er den Brief auseinander, streicht ihn auf dem Tisch glatt und gibt ihn mir. Während ich ihn lese, beobachtet er meine Miene.
22 . Dezember 1476
Bruder und Schwester Anne,
meine geliebte Gemahlin Isabel starb heute Morgen, Gott sei ihrer Seele gnädig. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass sie von einem Handlanger der Königin vergiftet wurde. Pass auf
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