Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
werden?»
    «Wie macht sie das?»
    Sein finsterer Blick gemahnt mich, dass wir beide das sehr wohl wissen.
    Ich schüttele den Kopf. «Sie genießt das Vertrauen des Königs, weil er sie so sehr liebt. Er tut alles für sie.»
    «Er hätte jede haben können, und wir wissen alle, wie diese Frau sich seines Herzens bemächtigt hat.»

Baynard’s Castle, London

Januar 1477
    D as Weihnachtsfest ist vorüber, doch wegen des schlechten Wetters bleiben viele Leute in London. Die Straßen nach Norden sind unpassierbar, und Middleham ist immer noch vom Schnee eingeschlossen. Ich stelle mir vor, dass die Schneestürme Middleham abschirmen, das von den großen Flüssen im Norden umgegeben ist, während mein Sohn sicher und geborgen hinter den dicken Mauern mit meinen Geschenken vor einem lodernden Kaminfeuer sitzt.
    Mitte Januar klopft es leise an die Tür meines Privatgemachs, ein zaghaftes Tap-tap-tap – es ist George. Ich wende mich an meine Hofdamen.
    «Ich gehe in die Kapelle», sage ich. «Allein.» Sie knicksen und bleiben stehen, bis ich den Raum verlassen habe. Ich nehme mein Gebetbuch und meinen Rosenkranz mit. Ich spüre, dass George mir folgt, und wir huschen in die düstere Kapelle. In einer Ecke der Kirche nimmt ein Priester die Beichte ab, zwei Landjunker gestehen murmelnd ihre Sünden.
    George und ich treten in eine dunkle Nische, und erst da fällt mir auf, dass er so weiß wie ein Ertrunkener ist und seine Augen tief in ihren Höhlen liegen. Seine Heiterkeit und sein gutes Aussehen sind wie fortgewischt. Er sieht aus wie ein Mann, der am Ende seiner Kräfte ist.
    «Was ist?», flüstere ich.
    «Mein Sohn», sagt er mit gebrochener Stimme.
    Mein erster Gedanke gilt meinem eigenen Sohn, meinem Edward. Ich bete zu Gott, dass er sicher in Middleham Castle ist, dass er Schlitten fährt, sich die Pantomime ansieht, einen Becher Weihnachtsbier probiert. Ich bete zu Gott, dass er gesund und stark ist, unberührt von Pest oder Gift.
    «Dein Sohn? Edward?»
    «Mein Kleiner, Richard. Mein Kleiner, mein geliebter Richard.»
    Ich lege die Hand auf den Mund und spüre das Zittern meiner Lippen. «Nicht Richard?»
    Das mutterlose Kind wird von einer Amme versorgt, die schon Margaret und Edward aufgezogen hat. Es gibt keinen Grund, warum Isabels drittes Kind in ihrer Obhut nicht gedeihen sollte.
    «Er ist tot.» Ich kann Georges Flüstern kaum hören. «Er ist tot.» Er erstickt schier an den Worten. «Ich habe gerade eine Nachricht von Warwick Castle erhalten. Mein Junge, Isabels Junge. Er ist in den Himmel gegangen, um bei seiner Mutter zu sein, Gott segne seine kleine Seele.»
    «Amen», flüstere ich. Es schnürt mir die Kehle zu, und meine Augen brennen. Ich möchte mich auf mein Bett werfen und eine Woche lang um meine Schwester und meinen kleinen Neffen und diese unerbittliche Welt weinen, die mir einen geliebten Menschen nach dem anderen nimmt.
    George tastet nach meiner Hand und umfasst sie fest. «Er soll ganz unerwartet gestorben sein.»
    Trotz meiner Trauer trete ich zurück und entziehe ihm meine Hand. Ich will nicht hören, was er zu sagen hat.
    «Unerwartet?»
    Er nickt. «Er hat sich gut entwickelt. Hat gut getrunken, Gewicht zugelegt und immer öfter die Nacht durchgeschlafen. Ich hatte Bessy Hodges als Amme, ich hätte ihn niemals zurückgelassen, wenn ich sie nicht für geeignet gehalten hätte. Er war wohlauf, Anne.»
    «Kleinkinder können sehr schnell krank werden», entgegne ich matt. «Das weißt du.»
    «Zur Schlafenszeit ging es ihm wohl noch gut, doch er starb vor dem Morgengrauen», sagt er.
    Ich zittere. «Kleinkinder können im Schlaf sterben. Gott möge seine Gnade walten lassen.»
    «Das stimmt», erwidert George. «Aber ich muss wissen, ob er einfach eingeschlafen ist, ob es ein natürlicher Tod war. Ich mache mich unverzüglich auf den Weg nach Warwick. Ich muss die Wahrheit herausfinden, und wenn ich feststelle, dass er umgebracht wurde, dass man ihm Gift in seinen kleinen schlafenden Mund geträufelt hat, dann wird derjenige dafür mit seinem Leben büßen – wer auch immer es ist, welch hohe Stellung er auch immer einnimmt, welch großen Namen er auch trägt, mit wem er auch immer verheiratet ist. Ich schwöre es, Anne. Ich werde mich rächen an demjenigen, der meine Gemahlin getötet und meinen Sohn auf dem Gewissen hat.»
    Als er sich zur Tür wendet, packe ich ihn am Arm. «Schreib mir», flüstere ich. «Schick mir etwas, Obst oder so, und leg eine Nachricht dazu. Schreib so,

Weitere Kostenlose Bücher