Dornenschwestern (German Edition)
Anthony Woodville, gelacht, wenn George die Galerie hinunterstolzierte, ohne jemanden zu grüßen. Jetzt jedoch mustert er ihn wie einen Widersacher mit zusammengekniffenen Augen. Der Hof ist gespalten zwischen denen, die von dem langen Aufstieg der Familie Rivers profitiert haben, und denen, die sie hassen und sie bereitwillig verdächtigen. Immer mehr Menschen beäugen die Königin, als fragten sie sich, welche Mächte sie besitzt und wie weit sie gehen wird.
Ich sehe George jeden Tag, denn wir bleiben in London, obwohl ich gern nach Middleham zurückkehren würde. Doch die Straßen versinken im Schlamm, was das Reisen erschwert, und Middleham ist eingeschneit. Ich muss am Hof bleiben, obwohl Elizabeth, die Königin, sooft ich ihre Gemächer betrete, meinen Knicks mit einem offen feindseligen Blick quittiert. Und ihre Tochter, Prinzessin Elizabeth, rafft ihren Rocksaum in einer Geste, die sie ihrer Großmutter, der Hexe, abgeschaut hat.
Auch ich habe jetzt Angst vor der Königin, und das spürt sie. Ich weiß nicht, wie stark ihre Kräfte sind oder was sie mir antun könnte. Ich weiß nicht, ob sie beim Tod meiner Schwester die Finger im Spiel hatte oder ob Isabel sich das nur eingebildet hat – jedenfalls geht es mir jetzt genauso. Und ich bin allein mit meinen Ängsten. Am Hof fühle ich mich schrecklich einsam, während alle anderen sich trotz der brodelnden Gerüchteküche amüsieren und flirten. Ich kann nicht mit meinem Gemahl sprechen, denn er will nichts Schlechtes über seinen Bruder Edward hören, und ich hüte mich davor, zusammen mit George gesehen zu werden, der mir bei einem heimlichen Zusammentreffen schwört, er werde die Mörderin meiner Schwester entlarven und vernichten – er sagt immer Mörderin, spricht immer von «ihr» –, und dann werde jeder wissen, was eine Frau voller Arglist und teuflischer Kräfte anrichten kann.
George kommt in unser Londoner Heim Baynard’s Castle, um sich von seiner Mutter, der Herzogin, zu verabschieden, die am nächsten Tag nach Fotheringhay reist. Er zieht sich lange mit der Herzogin in ihre Gemächer zurück; er ist ihr Lieblingssohn, und ihre Feindschaft gegenüber der Königin ist allgemein bekannt. Sie ermahnt ihn nicht, den Mund zu halten. Sie hat viel von der Welt gesehen und ist überzeugt, dass die Königin Edward verhext und er sie deshalb geheiratet hat. Die Königin rufe finstere Mächte an, während sie die Krone von England auf dem Haupt trage.
Als George die große Halle durchquert, entdeckt er mich an der Tür zu meinen Gemächern und eilt auf mich zu.
«Ich hatte gehofft, dich zu sehen.»
«Ich bin froh, dass du hier bist, Bruder.» Ich trete in meine Gemächer und er folgt mir. Meine Hofdamen machen Platz und knicksen vor George – er ist ein gutaussehender Mann, und schmerzlich wird mir bewusst, dass er jetzt ein geeigneter Heiratskandidat ist. Bei dem Gedanken, dass eines Tages wohl eine andere Frau Izzys Platz einnehmen wird, muss ich mich mit einer Hand am Fensterbrett abstützen. Ihre Kinder werden sie Mutter nennen. Sie sind so jung und werden vergessen, wie sehr Isabel sie geliebt hat und was für Hoffnungen sie für sie hegte.
«Richard hat mir erzählt, dass du Maria von Burgund nicht heiratest», sage ich leise zu ihm.
«Nein. Aber was meinst du, wer die Schwester des schottischen Königs heiraten wird? Ich wurde für die schottische Prinzessin vorgeschlagen, aber was denkst du, welchen Kandidaten der König vorzieht?»
«Dich dann wohl nicht?», frage ich.
Er lacht kurz auf. «Mein Bruder hat beschlossen, dass es sicherer ist, mich in seiner Nähe zu behalten. Er schickt mich weder nach Flandern noch nach Schottland. Die schottische Prinzessin wird keinen anderen als Anthony Woodville heiraten.»
Das verblüfft mich. Der Bruder der Königin, geboren als Sohn eines Landedelmannes, kann doch gewiss nicht in eine königliche Familie einheiraten? Kennt ihr Ehrgeiz denn keine Grenzen? Müssen wir alles hinnehmen, wonach die Rivers streben?
George lächelt, als er meine erstaunte Miene sieht. «Auf dem Thron von England sitzt die Tochter eines kleinen Gutsbesitzers aus Grafton und auf dem Thron von Schottland ihr Bruder», sagt er trocken. «Was für ein Aufstieg. Elizabeth Woodville sollte ihre Standarte tragen und eine Flagge auf die Bergspitzen stecken. Was kommt wohl als Nächstes? Soll ihr Bruder Bischof werden? Warum nicht gleich Papst? Nimmt das gar kein Ende? Kann sie Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches
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