Dornenschwestern (German Edition)
ihm.
Er richtet den Blick auf seine älteste, seine erwählte Tochter; und obwohl sie die Hand auf ihren gewölbten Leib gelegt hat und ihr Gesicht kreidebleich ist, betrachtet er sie mit harten braunen Augen, als wäre sie bloß ein Hindernis zwischen ihm und seinem neuen Plan. Dann schaut er landeinwärts, als könnte er dort die sich bauschende Standarte der Armee des Königs erblicken, die die Straße herunter auf den Kai zumarschiert.
«Geht an Bord», ist alles, was er sagt, und er schreitet ohne einen Blick zurück die Laufplanke hinauf und gibt den Befehl zum Ablegen. Wir hasten hinter ihm her.
Die Leinen werden losgemacht, und die Schleppkähne bringen uns zum Meer. Die Ruderer legen sich im gleichmäßigen Rhythmus des kleinen Trommlerjungen in die Riemen und ziehen das Schiff vom gepflasterten Kai in den Fluss. Die Segel flattern und füllen sich mit Wind, und das Schiff schaukelt auf den Wellen. In Devon, wie in allen Häfen Englands, lieben sie Vater, weil er den Ärmelkanal beschützt, und so winken viele Menschen, werfen Kusshände und rufen ihm ihren Segen zu. George tritt zu ihm auf das Achterdeck und hebt die Hand zu einem majestätischen Gruß. Vater ruft Izzy an seine Seite und legt ihr den Arm um die Schultern und dreht sie so, dass alle ihren gesegneten Leib sehen können. Mutter und ich stehen im Bug des Schiffes. Mich ruft Vater nicht an seine Seite, mich braucht er dort nicht. Isabel wird die neue Königin von England. Zwar geht sie jetzt ins Exil, doch sie kehrt gewiss triumphierend zurück. Isabel trägt das Kind unter ihrem Herzen, von dem alle hoffen, dass es ein Sohn ist, der König von England wird.
Wir erreichen das offene Meer, und die Matrosen werfen die Seile auf die Schleppkähne und setzen die Segel. Eine leichte Brise kommt auf und füllt sie. Die Masten knarren, denn der Wind erfasst das Schiff, und wir pflügen durch das blaue Meer, dass das Wasser zischend am Bug vorbeischießt. Izzy und ich sind immer gern gesegelt, und sie vergisst ihre Angst und steht mit mir an der Reling und hält in dem klaren Wasser Ausschau nach Delfinen. Am Horizont liegt eine Wolkenlinie wie eine Schnur milchiger Perlen.
Am Abend erreichen wir den Hafen von Southampton, wo der Rest von Vaters Flotte vor Anker liegt und auf den Befehl wartet, sich uns anzuschließen. Vater schickt ein kleines Ruderboot aus, damit sie wissen, dass sie kommen sollen, und wir rollen ein wenig auf den wirbelnden Strömungen des Solent und blicken wartend in Richtung Land, wo wir jeden Augenblick einen Wald von Segeln zu erspähen erwarten, unseren Wohlstand und unseren Stolz und die Quelle von Vaters Macht – die Herrschaft über das Meer. Doch nur zwei Schiffe tauchen auf. Sie kommen längsseits, und Vater beugt sich über die Reling. Sie berichten, dass wir erwartet wurden, dass der Sohn der Rivers, Anthony Woodville, wie der Rest der Familie verflucht noch mal vorausschauend denkt und mit seiner Truppe wie ein Verrückter geritten ist, um vor uns hier zu sein, und dass er den Befehl über die Mannschaften an sich gerissen, einige verhaftet und andere getötet hat. Jedenfalls hat er Vaters Schiffe in seine habgierigen Hände gebracht, darunter auch das nagelneue Flaggschiff, die
Trinity
. Anthony Woodville hat die Befehlsgewalt über Vaters Flotte. Die Rivers haben uns unsere Schiffe geraubt, so wie sie uns unseren König geraubt haben, wie sie uns alles rauben werden, was wir besitzen.
«Geh nach unten!», ruft Vater mir zornig zu. «Sag deiner Mutter, wir sind am Morgen in Calais, und ich werde zurücksegeln, um die
Trinity
und meine anderen Schiffe wieder an mich zu bringen, und Anthony Woodville wird es noch leidtun, dass er sie mir gestohlen hat.»
Wir segeln den ganzen Abend und die ganze Nacht vor dem Wind durch den Ärmelkanal zu unserem Heimathafen Calais. Vater kennt diese Gewässer gut, und seine Mannschaft hat um jeden Zoll dieser Tiefen gekämpft und sie durchfahren. Das Schiff ist frisch in Dienst gestellt, als Schlachtschiff und mit Quartieren ausgerüstet, die eines Königs würdig sind. Unter klarem Himmel segeln wir vor dem vorherrschenden Wind nach Osten. Isabel ruht in der prächtigen Kabine auf dem Hauptdeck, ich bleibe bei ihr. Mutter und Vater bekommen die große Kabine unter dem Achterdeck und George die Kabine des Ersten Offiziers. Bald wird das Abendessen serviert, und wir werden im flackernden Kerzenschein auf dem rollenden Schiff Karten spielen. Danach gehen wir zu Bett, und ich werde
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