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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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pfeifen.»
    «Nein», entgegne ich fröhlich, «nein, Izzy …» Doch da jault der Wind auf, dass es mir den Atem verschlägt. Unter Heulen und Pfeifen stößt der Wind wie eine Todesfee aus dem düsteren Himmel herab, das Schiff krängt, und das Meer unter uns bäumt sich plötzlich auf und wirft uns hinauf in die Wolken, aus denen blassgelbe Blitze zucken. Das Schiff schlingert, und die Doppeltür der Kabine fliegt auf.
    «Mach die Tür zu! Sperr sie aus!», schreit Izzy. Ich strecke die Hände aus und verharre erstaunt. Vor der Kabine befindet sich der Bug des Schiffes, und dahinter sollten die Meereswellen sein. Doch ich sehe nichts vor mir als den Bug, der aufsteigt und immer weiter hinauf, als stünde das Schiff auf dem Heck und der Bug ragte senkrecht in den Himmel. Dann sehe ich, warum. Hinter dem Bug ist eine mächtige Welle, hoch aufragend wie eine Burgmauer, und unser kleines Schiff versucht, an ihrer Seite hochzuklettern. Im nächsten Augenblick wird der Wellenkamm brechen, eisig weiß gegen den schwarzen Himmel, und auf uns niederkrachen, während ein Hagelsturm uns heimsucht, der das Deck in Sekunden in ein weißes Schneefeld verwandelt, auf meinem Gesicht und meinen nackten Armen beißt und unter meinen nackten Füßen knirscht wie Glassplitter.
    «Mach die Tür zu!», schreit Izzy noch einmal, und ich werfe mich dagegen, als die Welle bricht und eine Wasserwand auf das Deck donnert, unter der das Schiff zittert und taumelt. Schon baut sich die nächste Welle auf, und die Tür birst auf und lässt einen Wasserschwall ein. Die Tür schlägt, Isabel schreit, das Schiff bebt und kämpft unter dem zusätzlichen Gewicht des Wassers. Die Matrosen ringen um die Kontrolle über die Segel, klammern sich wie Marionetten mit fuchtelnden Beinen an die Spieren, denken an nichts als ihr zerbrechliches Leben, während das Schiff sich aufbäumt, der Kapitän Befehle brüllt und versucht, den Bug in das gewaltige Meer zu halten. Der Wind hat sich gegen uns gedreht, feindselige Wellen peitschen auf und donnern auf uns zu wie eine Abfolge von glasigen schwarzen Bergen.
    Das Schiff rollt, und von neuem fliegt krachend die Tür auf, Vater kommt herein. Von seinem Umhang strömt unablässig das Wasser, auf seinen Schultern liegen Hagelkörner. Er schlägt die Tür hinter sich zu und hält sich am Rahmen fest.
    «Alles in Ordnung?», fragt er, den Blick auf Isabel gerichtet.
    Isabel hält ihren Leib. «Ich habe Schmerzen, ich habe Schmerzen!», schreit sie. «Vater! Bring uns in den Hafen!»
    Er sieht mich an.
    Ich zucke die Achseln. «Sie hat dauernd Schmerzen», sage ich ungerührt. «Was ist mit dem Schiff?»
    «Wir halten auf die französische Küste zu», antwortet er. «Wir erreichen bald den Schutz der Küste. Hilf ihr. Sorg dafür, dass sie nicht friert. Die Feuer sind alle aus, aber sobald sie wieder angezündet werden können, schicke ich euch warmes Bier.»
    Das Schiff bäumt sich auf, und wir beide stürzen durch die Kabine.
    «Vater!», schreit Isabel aus der Koje.
    Mühsam versuchen wir aufzustehen, klammern uns an die Kabinenwände und ziehen uns an der Koje hoch. Ich muss blinzeln und denke, die Blitze draußen vor dem Kabinenfenster haben mich geblendet, denn es sieht aus, als wären Izzys Laken schwarz. Mit nassen Händen reibe ich mir die Augen, schmecke das Salz von den Wellen auf meinen Fingerknöcheln und Wangen. Doch die Laken sind nicht schwarz, und ich bin auch nicht geblendet von den Blitzen. Die Laken sind rosa. Das Fruchtwasser ist abgegangen.
    «Das Kind!», schluchzt sie.
    «Ich schicke dir deine Mutter», sagt Vater eilig, stürzt durch die Tür und verriegelt sie von außen. Er verschwindet augenblicklich im Hagel. Ab und zu lassen die Blitze die Hagelkörner wie eine weiße Wand erscheinen, die auf uns herabdonnert, dann ist es wieder dunkel. Das schwarze Nichts ist so furchteinflößend.
    Ich fasse Isabels Hand.
    «Ich habe Schmerzen», sagt sie jämmerlich. «Annie, es tut so weh.» Plötzlich verzieht sie das Gesicht und klammert sich stöhnend an mich. «Ich mache kein Tamtam. Annie, ich will mich nicht aufspielen. Ich habe Schmerzen, schreckliche Schmerzen. Annie, es tut so weh.»
    «Ich glaube, das Kind kommt», sage ich.
    «Noch nicht! Noch nicht! Es ist zu früh. Es kann unmöglich hier zur Welt kommen! Nicht auf dem Meer!»
    Verzweifelt blicke ich zur Tür. Mutter kommt doch? Margaret lässt uns sicher nicht im Stich, und auch nicht die Hofdamen. Es kann nicht sein, dass Isabel, an

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