Dornenschwestern (German Edition)
Nachrede zu ertragen und niemanden zu haben, der einen verteidigt, nur sich selbst. Sie sagt …»
«Sie sagt! Sie sagt! Sagt außer ihr niemand etwas? Du sprichst die ganze Zeit von ihr, dabei hattest du als kleines Mädchen ihretwegen Albträume», erinnert Isabel mich. «Du bist schreiend aufgewacht, die Wölfin würde kommen, du hast gedacht, sie hätte sich in der Truhe am Fußende deines Betts versteckt, und mich immer gebeten, dich gut zuzudecken und dich festzuhalten, damit sie dich nicht kriegt. Witzig, dass du jetzt förmlich jedes Wort von ihr aufsaugst und mit ihrem Sohn verlobt bist und mich ganz vergisst.»
«Ich glaube nicht, dass er mit mir verheiratet sein möchte», sage ich verzweifelt.
Sie zuckt die Achseln. Für nichts interessiert Isabel sich in diesen Tagen. «Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich muss er tun, wie ihm befohlen wird – wie wir alle. Vielleicht geht es für dich besser aus als für uns.»
Manchmal beobachtet er mich, wenn ich mit den Ladys tanze, doch er bewundert mich nicht, aus seinem Blick spricht keine Wärme. Er betrachtet mich, als wollte er mich einschätzen, als wollte er mich verstehen. Als wäre ich ein Rätsel, das er lösen möchte.
Die Hofdamen der Königin sagen mir, ich sei schön: eine kleine Miniaturkönigin. Sie loben die natürlichen Locken meines kastanienbraunen Haars, meine blauen Augen, meine geschmeidige Mädchenfigur und die rosige Farbe meiner Haut. Doch er sagt nie etwas, das mir das Gefühl gibt, er bewundere mich.
Manchmal reitet er mit uns aus. Dann hält er sich neben mir und spricht kein Wort. Er ist ein vortrefflicher Reiter, wie Richard. Er sieht gut aus. Ich versuche, ihn anzulächeln und ein Gespräch in Gang zu bringen. Ich sollte froh sein, dass mein Vater mir einen Gemahl ausgewählt hat, der meinem Alter entspricht und auf einem Pferd eine so stattliche und majestätische Figur macht. Und er wird König von England, doch seine Kälte ist undurchdringlich.
Wir unterhalten uns jeden Tag, doch wir sagen nicht viel. Dabei stehen wir immer unter der Beobachtung seiner Mutter, und wenn ich irgendetwas zu ihm sage, was sie nicht hören kann, ruft sie: «Was flüsterst du da, Lady Anne?», und ich muss es wiederholen, was sich unglaublich albern anhört, wie zum Beispiel: «Ich habe Seine Gnaden gefragt, ob im Burggraben Fische sind», oder: «Ich habe Seiner Gnaden gesagt, dass ich gebackene Quitten mag.»
Dann lächelt sie ihn an, als wäre es schier unglaublich, dass er es für den Rest seines Lebens mit so einer Närrin aushalten muss. Ihr Gesicht ist vor Belustigung ganz rot, und manchmal lacht er kurz auf. Sie sieht ihren Sohn immer an, wie eine Wölfin ihr Wolfswelpen ansieht, mit starkem Besitzanspruch. Er bedeutet ihr alles, sie würde alles für ihn tun. Mich hat sie für ihn gekauft, durch mich hat sie den einzigen Befehlshaber gekauft, der König Edward of York schlagen kann: seinen früheren Vormund, den Mann, der ihn zu kämpfen gelehrt hat. Prinz Edward, der Wolfswelpe, muss mit diesem langweiligen irdischen Mädchen verheiratet werden, damit sie zurück auf den Thron können. Sie ertragen mich, weil ich der für die Dienste des großen Feldherrn geforderte Preis bin, und sie widmet sich der Aufgabe, mich zu einer passenden Gemahlin für ihn zu erziehen, zu einer geeigneten Königin für England.
Sie erzählt mir von den Schlachten, die sie für den Thron ihres Gemahls und das Erbe ihres Sohnes geschlagen hat. Sie berichtet mir, dass sie gelernt hat, sich abzuhärten gegen das Leiden und über den Tod ihrer Feinde zu jubeln. Sie lehrt mich, dass man als Königin jedes Hindernis auf dem Weg als Opfer betrachten muss. Manchmal bestimmt das Schicksal, dass nur eine Person überleben kann, der Feind oder man selbst, manchmal ist es auch das Kind des Feindes oder das eigene. Wenn man wählen muss, wählt man natürlich das eigene Leben, die eigene Zukunft, das eigene Kind – egal zu welchem Preis.
Manchmal sieht sie mich mit einem Lächeln an und sagt: «Anne of Warwick, die kleine Anne of Warwick! Wer hätte je gedacht, dass du einmal meine Schwiegertochter wirst und dein Vater sich mit mir verbündet?»
Das ist dem, was ich vor mich hinmurmele, so ähnlich, dass ich einmal erwidere: «Ja, ist das nicht merkwürdig? Nach allem, was passiert ist?»
Doch angesichts meiner unverschämten Antwort reißt sie ihre blauen Augen auf und sagt: «Gar nichts weißt du, was passiert ist; du warst ein Kind, beschützt von einem
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