Dornenschwestern (German Edition)
im Zentrum seines Strebens stehst.»
«Izzy», flüstere ich. «Du warst das Zentrum seines Strebens und wärst wegen ihm auf See beinahe ertrunken.»
Im fahlen Licht der Kirche ist ihr Gesicht fast ein wenig grünlich. «Ich weiß», sagt sie bedrückt.
Ich zögere. Unsere Mutter kommt näher und sagt kurz angebunden: «Ich werde euch jetzt Ihrer Gnaden, der Königin, vorstellen.»
Ich folge ihr den langen Mittelgang der Kathedrale hinauf. Die hellen Buntglasfenster werfen einen farbigen Teppich auf den Boden; ich habe das Gefühl, als würde ich über die prachtvoll leuchtende Sonne schreiten. Nun präsentiert mich meine Mutter das zweite Mal einer Königin von England. Das erste Mal stand ich vor der schönsten Frau, die ich bis dahin je gesehen hatte. Diesmal vor der grausamsten. Sobald die Königin mich erblickt, wendet sie sich uns zu und wartet mit der Geduld einer Mörderin, bis ich die Stufen zum Altarraum erreiche. Meine Mutter sinkt in einen tiefen Knicks, und ich tue es ihr nach. Als ich mich erhebe, steht eine kleine, dralle Frau in prächtigen Kleidern aus Goldbrokat vor mir, auf dem Kopf einen turmhohen, mit Goldspitze drapierten Hennin, einen goldenen Gürtel um die breite Hüfte. Ihr rundes Gesicht ist ernst, ihr Rosenknospenmund lächelt nicht.
«Du bist Lady Anne», sagt sie auf Französisch.
Ich neige den Kopf. «Ja, Euer Gnaden.»
«Du wirst meinen Sohn heiraten und meine Tochter werden.»
Noch einmal neige ich den Kopf. Die Frage, ob ich glücklich bin, spielt keine Rolle. Als ich sie wieder ansehe, strahlt sie mit einem triumphierenden Ausdruck in den Augen über das ganze Gesicht. «Lady Anne, du bist jetzt nur eine junge Frau, ein Niemand; doch ich werde dich zur Königin von England machen, und du wirst auf meinem Thron sitzen und meine Krone tragen.»
«Lady Anne ist auf eine solche Stellung vorbereitet», wirft meine Mutter ein.
Die Königin beachtet sie nicht. Sie tritt vor und nimmt meine Hände, als würde ich ihr die Treue schwören. «Ich werde dir beibringen, eine Königin zu sein», sagt sie. «Ich werde dir alles beibringen, was ich über Tapferkeit und Regentschaft weiß. Mein Sohn wird König sein, doch du stehst an seiner Seite, bereit, den Thron mit deinem Leben zu verteidigen, du wirst eine Königin sein, wie ich eine war – eine Königin, die befehlen, die regieren kann, die Allianzen schließen und sie einhalten kann. Als ich nach England kam, war ich nur ein Mädchen, kaum älter als du. Ich habe schnell gelernt, dass man, wenn man den Thron von England nicht verlieren will, an seinem Gemahl festhalten und für seinen Thron kämpfen muss, Tag und Nacht, Anne. Tag und Nacht. Ich werde dich zu einem Schwert schmieden, das England dient, so wie ich zu einer Klinge geschmiedet wurde. Ich werde dir beibringen, der Dolch an der Kehle des Verräters zu sein.»
Ich denke an all die Gräuel, mit denen diese Königin mit ihren Favoriten bei Hofe und ihrem Ehrgeiz das Land überzogen hat. Daran, dass mein Vater geschworen hat, der König habe sich in einen todesähnlichen Schlaf gestürzt, weil er den Wachzustand an ihrer Seite nicht ertrage. Ich denke an die Jahre, da mein Vater England regierte und diese Frau in Schottland wütete, eine Armee aufstellte, die wie eine Horde halbnackter Banditen nach Süden zog, raubte, vergewaltigte und mordete, wo immer sie hinkam, bis das Land gelobte, es habe genug von dieser Königin, und die Bürger von London die Tore vor ihr verschlossen und ihre beste Freundin Jacquetta Woodville baten, ihr zu sagen, sie möge mit ihrer Armee aus dem Norden nach Hause ziehen.
Etwas davon zeigt sich wohl in meinen Zügen, denn sie lacht kurz. «Mädchen sind oft ein wenig zimperlich. Wer nichts besitzt, kann leicht hehre Grundsätze haben. Doch eine Frau, die einen Sohn besitzt, der nach Jahren des Wartens für den Thron bestimmt ist, eine Königin, die ihre Krone behalten will, ist zu allem bereit. Zu allem. Sie ist bereit, dafür zu töten, wenn es sein muss auch Unschuldige. Dann wirst du froh sein, dass ich dir alles beigebracht habe, was ich weiß.» Sie lächelt mich an. «Wenn du alles – alles – tun kannst, um deine Machtposition auf dem Thron und deine Krone zu sichern, und dein Gemahl sich dort befindet, wo er hingehört, dann weißt du, dass du von mir gelernt hast. Dann bist du wahrlich meine Tochter.»
Sie widert mich an, ja, sie jagt mir eine Todesangst ein. Ich wage nicht zu sprechen.
Sie wendet sich zum Hochaltar. Neben meinem
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