Dornenschwestern (German Edition)
öffnet sich, und George und sein Hofstaat erwarten sie. Dies ist das Zeichen für mich, in mein Gemach zu gehen. Man ist sich allgemein einig, dass ich so tiefe Trauer trage, dass ich mich nicht in gemischte Gesellschaft begeben kann. Nur George, Isabel und ich wissen, dass sie diese Regel aufgestellt haben. Sie erlauben mir nicht, irgendjemanden zu sehen oder mit irgendjemandem zu sprechen, sie halten mich wie einen eingesperrten Falken. Doch Richard weiß es auch. Er hat es sich zusammengereimt, weil er mich, weil er Isabel kennt. Er war meinem Vater wie ein Sohn, er versteht das Haus Warwick. Und Richard liegt so viel an mir, dass er über mich nachgedacht und sich gefragt hat, wie es mir in Isabels Hofstaat ergeht. Er hat hinter die Fassade der Vormundschaft geblickt und die Wahrheit gesehen, nämlich, dass ich ihre Gefangene bin.
Ich knickse vor George und halte den Blick gesenkt, damit er nicht sieht, dass ich lächele. Im Geiste höre ich wieder meine Frage: «Warum solltest du so etwas tun?», und seine Antwort: «Was meinst du wohl?»
Als es an der Tür des Privatkabinetts klopft, öffne ich selbst, denn ich gehe davon aus, dass ein Diener mir mein Abendessen bringt, doch das Audienzzimmer ist leer, bis auf Richard, der prächtig gekleidet in ein rotes Samtwams und Kniehosen vor mir steht, den mit Zobel verbrämten Umhang um die Schultern, als wäre nichts.
Ich schnappe nach Luft. «Du?»
«Ich dachte, ich komme zu dir, während das Abendessen serviert wird», sagt er und setzt sich auf Isabels Stuhl unter dem Wappentuch am Kamin.
«Ich erwarte jeden Augenblick einen Diener mit meinem Abendessen», erkläre ich ihm.
Er macht eine sorglose Handbewegung. «Hast du über unser Gespräch nachgedacht?»
Den ganzen Nachmittag, jede Sekunde.
«Ja.»
«Soll ich dein Fürsprecher in dieser Angelegenheit sein?» Wieder lächelt er mich an, als würde er mir ein sehr delikates Spiel vorschlagen, als käme das Angebot, uns gegen meinen Vormund und meine Schwester zu verschwören, der Bitte um einen Tanz gleich.
«Wie gehen wir vor?» Ich versuche, ernst zu bleiben, doch ich erwidere sein Lächeln.
«Oh», flüstert er. «Wir müssten uns gewiss oft treffen.»
«Ach ja?»
«Mindestens einmal am Tag. Für eine richtige Verschwörung müsste ich dich einmal am Tag sehen, wahrscheinlich zweimal. Ich müsste dich bestimmt andauernd sehen.»
«Und was würden wir dann machen?»
Mit der Stiefelspitze zieht er einen Schemel näher an den Stuhl und bedeutet mir, mich neben ihn zu setzen. Ich gehorche. Er bändigt mich, als würde er einen Falken zähmen. Er beugt sich vor, wie um mir etwas zuzuflüstern, und sein Atem streicht warm über meinen nackten Hals.
«Wir würden reden, Anne, was sonst?»
Wenn ich den Kopf ein wenig wenden würde, würden seine Lippen meine Wange streifen. Ich sitze ganz still und zwinge mich, mich nicht zu ihm umzuwenden.
«Warum? Was würdest du denn gern tun?», fragt er mich.
Ich überlege: Das hier, dieses köstliche Spiel, könnte ich den ganzen Tag spielen. Den ganzen Tag möchte ich seinen Blick spüren; es würde mir gefallen, wenn er mich endlich nicht mehr als unschuldige Freundin aus Kindertagen betrachten, sondern mich lieben würde.
«Doch wie soll ich mein Vermögen zurückkriegen?»
«Ach ja, das Vermögen. Einen Moment lang hatte ich das ganz vergessen. Nun, zuerst muss ich mit dir reden, um sicherzugehen, was du willst.» Noch einmal kommt er näher. «Ich möchte genau das tun, was du willst. Du musst mir Befehle erteilen. Ich werde dein Kavalier sein, dein Ritter und Diener. Ist es nicht das, was Mädchen wollen? Wie im Märchen?» Seine Lippen streifen mein Haar, ich spüre seine Wärme.
«Mädchen können sehr dumm sein», sage ich in dem Versuch, erwachsen zu sein.
«Es ist nicht dumm, sich einen Mann zu wünschen, der einem treu zu Diensten ist», erklärt er. «Wenn ich eine Dame finden könnte, die meine Dienste annähme, die mir ihre Gunst erwiese, eine Dame meiner Wahl, dann würde ich mich ganz ihrer Sicherheit und ihrem Glück verschreiben.» Er zieht sich ein wenig zurück, um mein Gesicht zu studieren.
Ich kann nicht aufhören, in seine dunklen Augen zu sehen. Ich spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt, doch ich kann den Blick nicht von ihm lösen.
«Und dann rede ich in deinem Namen mit meinem Bruder», fährt er fort. «Du und deine Mutter könnt nicht gegen euren Willen festgehalten werden.»
«Würde der König auf dich
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