Dornenschwestern (German Edition)
hören?»
«Natürlich. Ohne Zweifel. Ich bin an seiner Seite, seit ich alt genug bin, in der Schlacht ein Schwert zu halten. Ich bin sein treuer Bruder. Er liebt mich. Ich liebe ihn. Wir sind Waffen-wie auch Blutsbrüder.»
Es klopft, und mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung huscht Richard unbemerkt hinter die Tür. Ein Diener macht die Tür krachend auf und tritt ein, und ein zweiter trägt verschiedene Gerichte und einen Krug Dünnbier herein. Sie machen sich am Tisch zu schaffen, stellen den Teller hin und schenken Bier aus. Dann warten sie, um mir aufzutun.
«Ihr könnt gehen», sage ich. «Schließt hinter euch die Tür.»
Sie verneigen sich und verlassen das Zimmer. Sogleich tritt Richard aus dem Schatten und zieht sich einen Schemel an den Tisch.
«Darf ich?»
Wir genießen das köstliche Mahl. Er teilt den Becher mit dem Bier mit mir und isst von meinem Teller. Die vielen Male, als ich allein mein Abendessen zu mir genommen habe, um satt zu werden, sind vergessen. Er nimmt kleine Stücke geschmortes Fleisch vom Teller, bietet es mir an und wischt mit einem Stück Brot den Bratensaft auf. Er lobt das Wild und besteht darauf, dass ich davon esse, und er teilt das Gebäck mit mir. Zwischen uns herrscht nicht die geringste Verlegenheit. Es ist wie in alten Kindertagen. Wir lachen die ganze Zeit – und spüren, dass unter diesem Lachen noch etwas anderes liegt: Begehren.
«Ich gehe besser», sagt er. «Das Abendessen in der Halle wird vorüber sein, sie suchen sicher schon nach mir.»
«Sie werden denken, ich wäre mit einem Mal gefräßig geworden», bemerke ich und betrachte die leeren Schüsseln auf dem Tisch.
Er steht auf, und ich erhebe mich ebenfalls. Plötzlich bin ich verlegen. Ich würde ihn gern fragen, wann wir uns wiedersehen, wie wir uns treffen sollen. Doch ich bringe es nicht fertig.
«Wir sehen uns morgen», sagt er entspannt. «Gehst du früh zur Messe?»
«Ja.»
«Bleib zurück, wenn Isabel geht, dann komme ich zu dir.»
Mir verschlägt es den Atem. «Gut.»
Als er im Begriff ist hinauszugehen, lege ich meine Hand auf seinen Arm, ich kann der Versuchung nicht widerstehen, ihn zu berühren. Er wendet sich mit einem leichten Lächeln zu mir um und beugt sich vorsichtig nach vorn, um meine Hand zu küssen, die auf seinem Arm ruht. Das ist alles. Nur diese eine Berührung, kein Kuss auf den Mund, keine Liebkosung, sondern nur eine Berührung seiner Lippen, von der meine Finger brennen. Und dann huscht er hinaus.
In meinem dunkelblauen Witwenkleid folge ich Isabel in die Kapelle. Rasch werfe ich einen Blick auf die Seite der Kirche, wo der König und sein Bruder sitzen, um die Messe zu hören. Die königlichen Plätze sind leer. Mir wird fast ein wenig übel vor Enttäuschung. Er hat mich im Stich gelassen. Er hat doch gesagt, er sei heute Morgen hier. Ich knie hinter Isabel und versuche, mich auf die Messe zu konzentrieren, doch die lateinischen Worte ziehen an mir vorüber. Ich nehme sie nur als bedeutungslose Laute wahr, während ich in meinem Inneren immer wieder die beiden Sätze höre: «Wir sehen uns morgen. Gehst du früh zur Messe?»
Als Isabel nach der Messe aufsteht, erhebe ich mich nicht, sondern senke den Kopf im Gebet. Sie schaut ungeduldig zu mir herüber, lässt mich aber in Ruhe. Ihre Hofdamen folgen ihr aus der Kapelle, und ich höre, wie die Tür hinter ihnen zugeht. Hinter dem Lettner hantiert der Priester auf dem Altar mit dem Messgeschirr herum, den Rücken mir zugewandt, und ich knie fromm, die Hände verschränkt, die Augen geschlossen, sodass ich Richard nicht sehe, als er in die Bank gleitet und sich neben mich kniet. Doch ich erlaube mir, ihn zu spüren, bevor ich die Augen aufschlage und ihn erblicke – den leichten Seifenduft seiner Haut und den sauberen Geruch seiner neuen Lederstiefel, das leise Schaben, als er sich hinkniet, den Geruch von Lavendel, als er eine Blüte unter seinem Knie zerdrückt, und die Wärme seiner Hand auf meinen verschränkten Fingern.
Langsam öffne ich die Augen, als erwachte ich, und er lächelt mich an.
«Wofür betest du?»
Für diesen Augenblick. Für dich. Rettung.
«Nichts Wichtiges.»
«Dann solltest du für deine und die Freiheit deiner Mutter beten. Soll ich Edward für dich fragen?»
«Würdest du ihn bitten, meine Mutter freizulassen?»
«Das kann ich tun. Soll ich?»
«Natürlich. Aber glaubst du, sie könnte nach Warwick Castle zurückkehren? Was hat sie hier schon? Oder könnte sie in eines unserer
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