Dornenschwestern (German Edition)
kostbarer Steine, und sie lassen sich von goldenen Tellern bedienen. Jeden Tag feiern sie ihre Macht mit Musik, Tanz, Turnieren und Bootsfahrten auf dem kalten Fluss, Maskeraden und Belustigungen.
Der Bruder der Königin, Anthony Woodville, Lord Rivers, veranstaltet einen Gelehrtenwettstreit, bei dem Bibelforscher mit den Übersetzern arabischer Texte debattieren. Einmal kommt der König maskiert in die Frauengemächer und inszeniert unter großem Geschrei und gespieltem Entsetzen einen Piratenüberfall. Er stiehlt ihnen allen Schmuck, der ihre Arme und Dekolletés ziert, und hängt ihnen noch kostbarere Geschmeide um. Die Königin – ihren Sohn im Arm, ihre Mutter an der Seite und ihre Töchter im Gefolge – lacht jeden Tag der Weihnachtsfeierlichkeiten vor Erleichterung.
Nicht dass ich irgendetwas davon zu sehen bekomme. Ich gehöre Isabels und Georges Haushalt an und lebe im Westminster Palace, der wie ein weitläufiges Dorf ist, doch ich werde nicht zum Abendessen geladen, nicht als Tochter eines ehemals großen Mannes, noch als Prinzessinwitwe. Als Witwe eines gescheiterten Thronprätendenten halte ich mich bedeckt. Ich habe Gemächer im Palast, die den Fluss überblicken, nahe den Gärten, und dort werden mir die Mahlzeiten serviert. Zweimal am Tag gehe ich in die königliche Kapelle und sitze hinter Isabel, den Kopf reuig gesenkt, aber ich spreche weder mit der Königin noch mit dem König. Wenn sie an mir vorübergehen, sinke ich in einen Knicks, doch sie nehmen keine Notiz von mir.
Meine Mutter ist immer noch in Beaulieu Abbey. Niemand tut noch so, als wäre sie im Kirchenasyl und führte ein selbstgewähltes, zurückgezogenes Leben. Alle wissen, dass sie eine Gefangene ist und dass der König sie niemals freilassen wird. Meine Schwiegermutter wird im Tower festgehalten, in den Gemächern, die ihrem toten Gemahl gehörten. Man erzählt sich, sie bete jeden Tag für ihn und unablässig für die Seele ihres Sohnes. Ich weiß, wie verloren sie sich fühlt, dabei habe ich ihn nicht einmal geliebt. Und ich – die Letzte, die noch übrig ist von dem gescheiterten Versuch, Edward vom Thron zu stürzen –, ich werde von meiner Schwester in dieser Welt des Zwielichts gehalten: Ich bin ihre Gefangene und ihr Mündel. Die offizielle Version lautet, dass George und Isabel sich um mich kümmern, nachdem sie mich vom Schlachtfeld gerettet haben. Sie sind meine Vormunde, und ich lebe mit meiner Familie in Frieden und Behaglichkeit. Sie helfen mir, mich von den Schrecken der Schlacht zu erholen, von dem Martyrium meiner gegen meinen Willen geschlossenen Ehe und meiner Witwenschaft. In Wirklichkeit sind sie, wie jeder weiß, meine Kerkermeister, genau wie die Wachen im Tower meine Schwiegermutter bewachen und die Laienbrüder in Beaulieu meine Mutter. Drei gefangene Frauen, alle drei ohne Freunde, ohne Geld, ohne Hoffnung. Meine Mutter schreibt mir und verlangt, ich solle mit meiner Schwester sprechen, mit George, mit dem König selbst. Ich antworte ihr kurz, dass niemand je mit mir spricht, sondern mir allenfalls Befehle erteilt werden und dass sie sich selbst befreien muss, dass sie sich niemals freiwillig hinter Klostermauern hätte begeben sollen.
Doch ich bin fünfzehn Jahre alt und kann nicht anders, als zu hoffen. An manchen Nachmittagen liege ich auf meinem Bett und träume, dass der Prinz, mein Gemahl, nicht getötet wurde, sondern vom Schlachtfeld geflohen ist und mich holen kommt, zum Fenster hereinklettert und über mein erstauntes Gesicht lacht und mir erzählt, er habe einen wunderbaren Plan, draußen warte eine Armee, um Edward zu stürzen, und ich werde Königin von England, wie mein Vater es gewollt hat. Ich phantasiere, die Berichte über seinen Tod seien falsch und mein Vater lebe noch und die beiden würden in unseren Ländern im Norden eine Armee aufstellen und kommen, um mich zu retten – mein Vater hoch auf Midnight, die Augen strahlen unter dem Helm hervor.
Manchmal tue ich so, als wäre nichts von all dem geschehen, und wenn ich am Morgen aufwache, halte ich die Augen geschlossen, um das kleine Schlafgemach nicht zu sehen und die Hofdame, die bei mir im Bett schläft. Ich tue so, als wären Iz und ich in Calais und Vater würde bald nach Hause kommen und berichten, er habe die böse Königin und den schlafenden König geschlagen und wir sollen mit ihm nach England kommen und als mächtigste Ladys im Land die Dukes of York heiraten.
Ich bin ein Mädchen, ich kann nicht anders, als zu
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