Dornenschwestern (German Edition)
hoffen. Mein Herz schlägt schneller, wenn das Feuer im Kamin knackt. Ich öffne die Läden und sehe die milchigen Wolken am frühen Morgenhimmel und rieche die Luft und frage mich, ob es schneien wird. Ich kann nicht glauben, dass mein Leben schon vorüber ist, dass ich meinen großen Spieleinsatz gemacht und verloren habe. Meine Mutter mag in Beaulieu auf den Knien, meine Schwiegermutter für die Seele ihres Sohnes beten, doch ich bin erst fünfzehn Jahre alt, und ich kann nicht anders, als jeden Tag zu denken: Vielleicht wird sich heute etwas verändern. Vielleicht bekomme ich heute eine Chance. Sie können mich doch nicht ohne Namen, ohne Vermögen für immer festhalten?
Als ich mit Isabels Hofdamen auf dem Rückweg von der Kapelle bin, merke ich, dass ich da, wo ich mich hingekniet habe, meinen Rosenkranz habe liegen lassen. Nach einem kurzen Wortwechsel mit meinen Gefährtinnen gehe ich zurück. Das hätte ich nicht tun sollen, denn als ich hineingehen will, kommt der König aus der Kapelle, bei seinem guten Freund William Hastings untergehakt, dahinter sein Bruder Richard und eine lange Reihe von Freunden und Anhängern.
Ich ziehe mich, wie man mich angewiesen hat, zurück und sinke mit gesenktem Blick in einen Knicks. Ich tue alles, um meine Reue zu zeigen und dass ich nicht würdig bin, auf dieselben Binsen zu treten wie der König, der nur im Pomp lebt, weil er meinen Vater und meinen Gemahl in der Schlacht getötet und meinen Schwiegervater heimtückisch ermordet hat. Er geht mit einem freundlichen Lächeln an mir vorüber.
«Guten Tag, Lady Anne.»
«Prinzessinwitwe», sage ich zu den Binsen unter meinen Knien, doch so leise, dass mich niemand hört.
Ich halte den Kopf gesenkt, solange viele wunderschön geprägte Lederstiefel an mir vorüberschreiten. Dann erhebe ich mich. Richard, der neunzehnjährige Bruder des Königs, ist stehen geblieben und lehnt lächelnd an einem steinernen Türrahmen, als hätte er sich schließlich daran erinnert, dass wir einst Freunde waren, dass er das Mündel meines Vaters war und jeden Abend für den Kuss meiner Mutter niederkniete, als wäre er ihr Sohn.
«Anne», sagt er schlicht.
«Richard», erwidere ich und rede ihn nicht mit Titel an, weil er es auch nicht tut, auch wenn er der Duke of Gloucester ist und ein Herzog von königlichem Geblüt und ich nur ein Mädchen ohne Namen.
«Ich habe nicht viel Zeit», sagt er und schaut den Gang hinunter, wo sein Bruder und dessen Freunde sich gemächlich entfernen und über einen neuen Hund sprechen, den jemand aus Hainault mitgebracht hat. «Wenn du zufrieden mit dem Leben bei deiner Schwester bist, deines Erbes beraubt und deine Mutter eine Gefangene, dann werde ich kein weiteres Wort sagen.»
«Ich bin nicht glücklich», sage ich rasch.
«Falls du sie als deine Kerkermeister betrachtest, könnte ich dich von ihnen erlösen.»
«Ich betrachte sie als meine Kerkermeister und meine Feinde, und ich hasse sie.»
«Du hasst deine Schwester?»
«Noch mehr als ihn.»
Er nickt, als sei das nicht empörend, sondern vollkommen vernünftig. «Ist es dir überhaupt erlaubt, deine Gemächer zu verlassen?»
«An den meisten Tagen spaziere ich am Nachmittag durch den Privatgarten.»
«Allein?»
«Ich habe keine Freunde.»
«Komm heute Nachmittag nach dem Mittagessen in die Eibenlaube. Ich warte dort auf dich.»
Ohne ein weiteres Wort wendet er sich ab und läuft hinter dem Hofstaat seines Bruders her. Ich begebe mich rasch in die Gemächer meiner Schwester.
Am Nachmittag bereiten meine Schwester und ihre Hofdamen sich auf eine Maskerade vor; sie gehen in die königliche Kleiderkammer, um ihre Kostüme anzuprobieren. Ich muss keine Rolle lernen, kein prunkvolles Kostüm anprobieren. In der Aufregung über die Kleider vergessen sie mich, und ich nutze die Gelegenheit und husche hinaus, nehme die steinerne Wendeltreppe, die direkt hinunter in den Garten führt, und gehe von dort zu der Eibenlaube.
Ich sehe seine schlanke Gestalt auf einer Steinbank sitzen, neben sich einen Jagdhund. Der Hund dreht den Kopf und spitzt die Ohren, als er meine näher kommenden Schritte auf dem Kies hört.
Richard sieht mich und steht auf. «Weiß jemand, dass du hier bist?»
Bei dieser verschwörerischen Frage setzt mein Herz einen Augenblick aus.
«Nein.»
Er lächelt. «Wie lange hast du Zeit?»
«Vielleicht eine Stunde.»
Er zieht mich in den Schatten der Laube, wo es kühl ist und dunkel, wo uns die dicken grünen Äste vor Blicken
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