Dornenschwestern (German Edition)
Königin, die ganze Zeit davon gewusst.
Lambeth Palace, London
Sommer 1472
D ies ist unser Sommer, unsere Zeit. Als ich am Morgen aufwache, strömt goldener Sonnenschein durch das Erkerfenster, das zum Fluss hinausgeht. Und Richard schläft wie ein Kind neben mir. Die Laken sind von unserem Liebesspiel verheddert, die wunderschön bestickte Tagesdecke hängt halb über das Bett auf den Boden, und das Feuer im Kamin ist zu Asche verglüht. Aber er erlaubt niemandem, in unser Gemach zu kommen, bis wir danach rufen. Dies ist mein Sommer.
Jetzt verstehe ich Isabels sklavische Treue zu George, das leidenschaftliche Band zwischen dem König und der Königin. Jetzt verstehe ich sogar, dass die Mutter der Königin, Jacquetta, ob des Verlusts ihres Mannes, den sie aus Liebe geheiratet hat, an gebrochenem Herzen stirbt. Denn einen Mann zu lieben, der die gleichen Interessen wie ich verfolgt, der mir offen seine Leidenschaft schenkt und dessen kampfgestählter, junger, geschmeidiger Körper jede Nacht neben mir liegt, verändert das Leben vollkommen. Bei meiner ersten Heirat erfuhr ich keine solche Erschütterung und Bewunderung, war nicht so berührt und verwirrt. Ich war eine Gemahlin, aber keine Geliebte. Jetzt bin ich Gemahlin und Geliebte, Beraterin und Freundin, Partnerin, Waffenkameradin, Reisegefährtin. Durch Richard werde ich zur Frau.
«Was ist mit dieser Erlaubnis?», frage ich ihn eines Morgens müde, als er mich küsst und die Küsse zählt, weil er auf fünfhundert kommen will.
«Du hast mich unterbrochen», klagt er. «Was für eine Erlaubnis?»
«Für unsere Hochzeit. Vom Papst.»
«Oh, die … ist unterwegs. So was kann Monate dauern, wie du weißt. Ich habe schriftlich darum ersucht, und er wird antworten. Ich sage dir, wenn er antwortet. Wo war ich?»
«Dreihundertzwei», antworte ich.
Zärtlich drückt er die Lippen auf meine Rippen. «Dreihundertdrei …»
Die Nächte verbringen wir zusammen. Als er den Hof besuchen muss, der auf seiner Sommerreise in Kent ist, reitet er in der Morgendämmerung mit einigen Freunden – Brackenbury, Lovell, Tyrrell und ein halbes Dutzend anderen – los und kehrt in der Abenddämmerung zurück, um bei mir zu sein. Er schwört, dass wir nie getrennt sein werden, nicht einmal für eine Nacht. Ich warte in dem prächtigen Gästegemach in Lambeth Palace auf ihn, das Abendessen steht für ihn bereit, und als er staubig von der Straße hereinkommt, isst und trinkt und redet er gleichzeitig. Er erzählt mir, dass das Neugeborene der Königin tot und die Königin still und traurig ist. Ihre Mutter Jacquetta starb, wie es heißt, am selben Nachmittag wie das Kind; und einige Leute haben in der Nähe der Türme der Burg ein Klagelied gehört. Er bekreuzigt sich und lacht über sich, weil er ein abergläubischer Narr ist. Ich balle unter dem Tisch die Hände zu Fäusten, ein Zeichen gegen Hexerei.
«Lady Rivers war eine bemerkenswerte Frau», fährt er fort. «Als ich ihr als kleiner Junge zum ersten Mal begegnet bin, war sie für mich die furchteinflößendste und schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Doch seit sie mich bei Elizabeths und Edwards Hochzeit als ihren Verwandten anerkannte, liebte und bewunderte ich sie. Sie war immer freundlich zu ihren Kindern – und nicht nur zu ihnen, zu allen Kindern des königlichen Hofstaats – und Edward treu ergeben. Sie hätte alles für ihn getan.»
«Am Ende war sie meine Feindin», entgegne ich brüsk. «Doch ich erinnere mich auch, dass ich sie, als ich sie zum ersten Mal sah, wunderschön fand. Wie ihre Tochter, die Königin.»
«Jetzt würdest du die Königin bedauern», sagt Richard. «Ohne ihre Mutter ist sie sehr allein, und dass sie ihr Kind verloren hat, hat sie sehr getroffen.»
«Ja, aber sie hat vier andere Kinder», erwidere ich hartherzig. «Und unter anderem einen Sohn.»
«Wir Yorks lieben große Familien.» Er schenkt mir ein Lächeln.
«Und?»
«Ich dachte, wir könnten ins Bett gehen und versuchen, eine kleine Marquise zu zeugen?»
Mir steigt die Röte in die Wangen, und als ich mein Begehren spüre, muss ich lächeln. «Vielleicht.» Und er weiß, dass ich damit «Ja» meine.
Windsor Castle
September 1472
W ieder einmal warte ich ängstlich und aufgeregt, dass ich dem König und der Königin von England präsentiert werde. Diesmal ist niemand hier, der vorangeht, niemand, der mich schelten kann. Ich muss nicht fürchten, meiner Mutter auf die Schleppe zu treten, denn sie wird immer noch in
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