Dornenschwestern (German Edition)
ernst. Zwar küsst er mir die Hand, doch er nimmt mich nicht in die Arme, obwohl ich mich nach seiner Berührung sehne. Der Schmerz nagt wie Hunger an mir. Ich habe nicht geahnt, dass sich Begehren so anfühlt.
«Was ist los?» Meine Stimme klingt wehleidig.
Er schenkt mir ein rasches, beruhigendes Grinsen, setzt sich an den kleinen Tisch am Fenster und bedeutet mir, ihm gegenüber Platz zu nehmen.
«Es gibt Schwierigkeiten», sagt er. «George hat herausgefunden, dass du fortgelaufen bist, er hat mit Edward über dich gesprochen und verlangt, dass du zurückkehrst. Als Zugeständnis könne ich dich heiraten, doch dein Erbe bekommen wir nicht.»
Ich schnappe nach Luft. «Er weiß schon, dass ich fort bin? Was sagt Isabel? Was ist mit dem König?»
«Edward wird gerecht gegen uns sein. Aber er muss George bei Laune halten, er braucht ihn in seiner Nähe. Er ist auf ihn angewiesen. George hat zu viel Macht und eine zu große Verwandtschaft um sich geschart und würde zu einem gefährlichen Gegner werden. Mag gut sein, dass er jetzt im Augenblick mit deinen Verwandten, den Nevilles, Ränke für einen neuen Vorstoß auf den Thron schmiedet. In L’Erber gehen auf jeden Fall viele Freunde ein und aus. Edward vertraut ihm nicht, doch er muss sich ihm gewogen zeigen, damit er am Hof bleibt.»
Einen Augenblick fürchte ich, dass er mich aufgibt. «Was machen wir jetzt? Was bleibt uns?»
Er nimmt meine Hand und küsst sie. «Du bleibst hier, in Sicherheit. Du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde George mein Amt als Großkämmerer anbieten.»
«Großkämmerer?»
Er verzieht das Gesicht. «Ich weiß. Ein hoher Preis. Ich war stolz auf das Amt, das wichtigste in England – und das profitabelste –, doch das ist es mir wert.
Du
bist mir mehr wert», verbessert er sich und hält inne. «Du bist mehr wert als alles. Es gibt noch ein Problem: Deine Mutter schreibt an alle und behauptet, sie werde zu Unrecht gefangen gehalten und ihre Besitzungen würden ihr gestohlen. Sie verlangt die Freilassung. Es sieht nicht gut aus. Edward hat versprochen, ein gerechter König zu sein. Er kann es sich nicht leisten, einer Witwe im Kirchenasyl ihr Vermögen zu rauben.»
Ich sehe Richard an. Er hat mir versprochen, mich zu retten, und jetzt hat er die beiden mächtigsten Männer des Königreiches gegen sich, seine Brüder. Dass er zu mir hält, kommt ihn teuer zu stehen.
«Ich gehe nicht zurück», sage ich. «Ich tue alles, was du willst, aber ich will nicht zurück zu George und Isabel. Wenn es sein muss, gehe ich allein fort, doch zurück in dieses Gefängnis gehe ich nicht.»
Rasch schüttelt er den Kopf. «Nein, das wird nicht geschehen», versichert er mir. «Am besten heiraten wir gleich. Wenigstens kann mir dann niemand dich wegnehmen. Wenn wir verheiratet sind, können sie dir nichts tun, und als dein Gemahl kann ich um dein Erbe kämpfen.»
«Wir brauchen die Erlaubnis des Papstes», erinnere ich ihn. «Für George und Isabel musste Vater zweimal darum ersuchen, denn sie sind verwandt, genau wie wir. Durch ihre Heirat sind wir jetzt noch enger verbunden; wir sind sowohl Schwager und Schwägerin als auch Cousin und Cousine.»
Mit finsterer Miene trommelt er mit den Fingern auf den Tisch. «Ich weiß, ich weiß. Ich habe schon darüber nachgedacht. Ich werde einen Gesandten nach Rom schicken. Aber das dauert Monate.» Er sieht mich an, als wollte er herausfinden, wie groß meine Entschlossenheit ist. «Wartest du hier auf mich, in Sicherheit, auch wenn du dich nicht frei bewegen kannst, bis wir vom Heiligen Vater hören und unsere Erlaubnis haben?»
«Ich warte auf dich», verspreche ich ihm, wie eine junge Frau, die zum ersten Mal verliebt ist. Dabei weiß ich doch, dass ich nirgendwo anders hinkann und niemand anders die Macht und die Mittel hat, mich vor George und Isabel zu beschützen.
St. Martin’s, London
April 1472
J eden Morgen wird es früher hell und warm, während ich hinter den Klostermauern festsitze. Immer ungeduldiger warte ich darauf, endlich frei zu sein. Ich besuche die Messen in St. Martin’s, und am Vormittag lese ich in der Bibliothek. Richard hat mir seine Laute geborgt, und am Nachmittag spiele oder nähe ich. Ich fühle mich wie eine Gefangene, ich langweile mich schrecklich, und gleichzeitig habe ich furchtbare Angst. Was meine Sicherheit angeht, Besuche, ja, selbst meinen Aufenthalt hier, bin ich vollkommen von Richard abhängig. Ich bin ein Mädchen, belegt mit einem magischen Fluch
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