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Dornenschwestern (German Edition)

Dornenschwestern (German Edition)

Titel: Dornenschwestern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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König …»
    «Edward pflichtet immer dem bei, mit dem er zuletzt gesprochen hat. Er lacht und verspricht jedem alles. Seine Tage verbringt er mit Reiten und Tanzen und Spielen und seine Nächte mit Zechgelagen in den Straßen von London in Begleitung von William Hastings und sogar seiner Stiefsöhne – und ich schwöre, dass sie ihm keine wahren Gefährten sind, sondern nur auf Geheiß ihrer Mutter mitmachen. Sie schließen sich ihrem Stiefvater an, um alles im Auge zu behalten. Sie führen ihn in Bordelle und Hurenhäuser, und dann, ich schwör’s dir, erstatten sie ihr Bericht. Er hat keine Freunde um sich, nur Spitzel und Kriecher.»
    «Das ist nicht rechtens», sage ich mit der Sittenstrenge der Jugend.
    «Ganz und gar nicht», stimmt Richard mir zu. «Ein König sollte seinem Volk ein Vorbild sein. Edward wird geliebt, und die Bürger von London sehen ihn gern; doch wenn er betrunken durch die Straßen zieht und Frauen hinterherläuft …» Er unterbricht sich. «Egal, das ist nichts für deine Ohren.»
    Ich passe meine Schritte den seinen an, und ich erinnere ihn nicht daran, dass ich den größten Teil meiner Jugend in einer Garnisonsstadt verbracht habe.
    «Und George sucht unablässig nur seinen Vorteil», fährt Richard fort. «Er kann nicht anders, er denkt nur an die Krone, die er an Edward verloren hat, und an das Vermögen, das er an mich abgeben musste. Seine Gier ist unermesslich, Anne. Er macht immer weiter, will immer mehr Land haben, immer mehr Ämter. Er stolziert am Hof herum wie ein großer Karpfen und reißt das Maul weit auf, um Besitz und Einkünfte zu verschlingen. Und er lebt wie ein Prinz. Gott weiß, wie viel er für sein Haus in London ausgibt, dafür, sich Freunde zu kaufen und seinen Einfluss zu vergrößern.»
    Aus der Wiese hinter der Burg erhebt sich singend eine Feldlerche. Für einen Augenblick verharrt sie, bevor sie immer weiter aufsteigt, als wollte sie hinauf in den Himmel fliegen. Mein Vater hat einmal gesagt, ich solle sie aufmerksam beobachten, denn im nächsten Augenblick werde sie die Flügel schließen und still in den Sinkflug gehen, wie ein Stein zu Boden stürzen – und da, wo sie lande, sei das kleine mit Daunenfedern gepolsterte Nest mit vier gefleckten Eiern, die alle mit der Spitze zur Mitte zeigten, denn die Feldlerche sei ein ordentlicher Vogel und ein Vorbild für jeden Kandidaten, der dem Himmel zustrebe.
    Als wir die Wendeltreppe des Torturms hinunter in den Haupthof der Burg gehen, werden die Türen aufgestoßen, und eine Sänfte mit vorgezogenen Vorhängen und zwanzig Vorreiter kommen durchs Tor.
    «Wer ist das?», frage ich. «Eine Dame? Erwarten wir Besuch?»
    Richard tritt vor und grüßt den Hauptmann der Wache, als habe er ihn erwartet.
    «Alles in Ordnung?»
    Der Mann nimmt sein Barett ab und reibt sich die verschwitzte Stirn. Ich erkenne James Tyrrell, einer von den Männern in Richards Hofstaat, dem er wirklich vertraut, und hinter ihm Robert Brackenbury.
    «Ja», bestätigt er. «Soweit ich weiß, ist uns niemand gefolgt, und niemand hat uns auf der Straße angegriffen.»
    Ich zupfe Richard am Ärmel. «Wer ist die Besucherin?»
    «Ihr seid zügig durchgekommen», bemerkt Richard, ohne mich zu beachten.
    Eine Hand zieht die Vorhänge der Sänfte auf, und Sir James wendet sich um, um der Dame herauszuhelfen. Sie legt die Decken zur Seite, die sie auf der Reise warm gehalten haben, und nimmt seine Hand. Er steht vor ihr, sodass ich ihr Gesicht nicht sehen kann.
    «Deine Mutter?», flüstere ich Richard zu, entsetzt bei dem Gedanken eines formellen Besuchs.
    «Nein», sagt er.
    Die Dame steigt aus der Sänfte und richtet sich stöhnend auf. Sir James tritt zur Seite, und einer Ohnmacht nahe erkenne ich meine Mutter, die ich zwei lange Jahre nicht gesehen habe. Zurückgekehrt aus dem Grab oder jedenfalls aus Beaulieu Abbey, steht sie vor mir wie ein lebender Geist, wendet sich mir zu und schenkt mir ein grausig triumphierendes Lächeln, mir, der Tochter, die sie nicht aus dem Gefängnis geholt und so getan hat, als wäre sie tot.

    «Warum ist sie hier?», will ich wissen.
    Wir sind allein in unserem Privatgemach. Die Tür zur großen Halle, wo die Gesellschaft darauf wartet, dass wir sie zum Abendessen führen, ist verschlossen. Derweil fluchen unten in der Küche die Köche, denn das Fleisch ist durch, und die Pasteten werden zu knusprig und zu braun.
    «Ich habe sie errettet», sagt er ruhig. «Ich dachte, du würdest dich freuen.»
    Ich sehe

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