Dornenschwestern (German Edition)
sie, um die Schmerzen zu lindern?», will Isabel wissen.
Die jüngere Frau löst den Stopfen einer Steingutflasche. «Trinkt einen Schluck davon», sagt sie und schenkt meinen Silberbecher voll. «Wenn ich’s mir recht überlege, können wir alle einen Schluck vertragen.»
Es brennt mir höllisch in der Kehle und treibt mir die Tränen in die Augen, gleichzeitig fühle ich mich mutiger und stärker.
Iz nimmt einen Schluck und hustet. Sie grinst mich an und flüstert mir ins Ohr: «Das sind zwei gierige betrunkene Alte. Weiß Gott, wo Richard die aufgetrieben hat.»
«Es sind die Besten im ganzen Land», erwidere ich. «Gott steh den Frauen in dieser Stunde bei, die sich mit anderen zufriedengeben müssen.»
Sie lacht, und ich stimme mit ein, doch das Lachen fährt mir in den Bauch wie ein Schwerthieb, und ich stoße einen lauten Schrei aus. Augenblicklich werden die beiden Frauen ganz geschäftig, setzen mich auf das Bett, legen mir die Seilschlinge in die Hand, sagen der Magd, sie solle aus dem Krug am offenen Feuer heißes Wasser einschenken. Dann bekomme ich vor lauter Schmerzen nichts mehr mit. Der Feuerschein spiegelt sich im Krug, und ich spüre nur noch die Hitze im Zimmer und Isabels kühle Hand, die mir das Gesicht abwischt. Ich habe das Gefühl, gegen den Schmerz tief in meinem Bauch anzukämpfen, ich ringe nach Luft. Ich denke an meine Mutter, die weit fort ist und eigentlich hier bei mir sein sollte, und an meinen Vater, der sein Leben lang gekämpft hat und der zum Schluss Niederlage und Tod erfahren hat. Seltsam, aber ich muss auch an Midnight denken, der seinen großen Kopf hochwirft, als das Schwert in sein Herz stößt.
Ich keuche und vernehme einen Schrei, und jemand sagt: «Behutsam jetzt, behutsam», und durch einen Tränenschleier sehe ich Isabels Gesicht und höre sie sagen: «Annie! Annie! Du hast einen Jungen!» Und ich weiß, dass ich den Wunsch meines Vaters erfüllt und Richard das gegeben habe, was er braucht: Ich habe meinem Vater einen Enkelsohn und meinem Gemahl einen Erben geboren; Gott hat mich mit einem kleinen Sohn gesegnet.
Doch kräftig ist er nicht. Die Hebammen sagen, mancher schwächliche Knabe wachse zu einem tapferen Mann heran, und die Amme fügt hinzu, dass ihre Milch ihn im Nu groß und stark mache. Doch die nächsten sechs Wochen, bevor ich den Segen der Kirche erhalte, verzagt mein Herz, wenn ich die ganze Nacht sein leises, dünnes, quäkendes Wimmern höre, und am Tag betrachte ich seine Händchen, die wie kleine blasse Blätter sind.
Nachdem der Kleine getauft ist und ich vom Priester gesegnet worden bin, kehrt Isabel zu George nach London zurück. Wir nennen das Kind Edward nach dem König, und Richard sagt, das garantiere ihm eine große Zukunft. Die Taufe und die Segnung finden in einem ruhigen, privaten Rahmen statt – der König und die Königin können nicht kommen. Auch wenn niemand etwas sagt, entwickelt sich der Junge nicht gut. Trotzdem bekommt er ein prächtiges Taufkleid. Drei Tage lang wird in der Burg gefeiert, und alle Diener bekommen ein Abendessen.
«Er wird sich erholen», will Isabel mich flüsternd beruhigen, als sie im Stallhof in die Sänfte steigt. Wegen ihrer Schwangerschaft kann sie nicht reiten. «Heute Morgen sah er schon viel kräftiger aus.»
Das stimmt nicht, doch das einzugestehen wagt sie genauso wenig wie ich.
«Außerdem weißt du jetzt, dass du Kinder kriegen kannst, dass du sie lebendig zur Welt bringen kannst», sagt sie. Der Gedanke an den kleinen Jungen, der nicht einmal geschrien hat und auf dem Meer starb, verfolgt uns immer noch.
«Auch du kannst ein Kind lebendig zur Welt bringen», entgegne ich beherzt. «Das nächste auf jeden Fall. Und ich stehe dir bei. Es gibt keinen Grund, warum es diesmal nicht gut gehen sollte. Du bekommst einen kleinen Cousin für Edward, und so es Gott gefällt, werden sie beide groß und stark.»
Sie sieht mich an, und ihre Augen liegen vor Angst tief in den Höhlen.
«Die York-Jungen sind kräftige Burschen, aber unsere Mutter hat nur uns beide bekommen. Und ich habe ein Kind verloren.»
«Sei tapfer», befehle ich ihr, als wäre ich die ältere Schwester. «Du lässt jetzt nicht den Kopf hängen, dir wird nichts passieren, sieh doch mich an. Und ich bin bei dir, sobald es losgeht.»
Sie nickt. «Gott segne dich, Schwester, und bleib gesund.»
«Gott segne dich auch, Iz.»
Nachdem Isabel fort ist, geht mir durch den Kopf, dass meine Mutter ihr erstes Enkelkind womöglich
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