Dornentöchter
freundliches Gesicht zu sehen? Beide Mädchen wirkten mürrisch und müde – vermutlich hatten sie nicht mitkommen wollen. Pearl schob sie in eine der halbleeren hinteren Bänke. Wütendes Getuschel lief wie eine Welle durch die Menge. Mutter bewegte die Lippen in einem geflüsterten Gebet und schüttelte dabei missbilligend den Kopf. Arthur warf einen zornigen Blick in den hinteren Teil der Kirche, denn auch er hatte die Nachzügler entdeckt. Seine Mutter legte ihm jedoch warnend die Hand auf den Arm, um ihn am Aufstehen zu hindern.
Der Rest des Gottesdiensts zog wie in einem Nebel an mir vorbei, während ich versuchte, mir vorzustellen, was Pearl wohl durch den Kopf ging. Jede andere Frau hätte den Anstand besessen, zu Hause zu trauern, statt ihren Ehemann und die Kinder zum Begräbnis eines Liebhabers zu schleppen, doch Pearl scherte sich wie üblich nicht um die Gefühle anderer Menschen, nicht einmal um die von Teddys Mutter.
Wir beerdigten Teddy auf dem Friedhof, mit einem Ausblick auf das Meer, auf dem er sich so zu Hause gefühlt hatte. Es regnete immer noch. Mit Regenschirmen und im Wind flatternden Mänteln standen wir da, während Teddys Sarg in die Erde hinabgesenkt wurde. Ich hatte mit einem Drama gerechnet – dass Pearl sich ins offene Grab stürzen oder Arthur seine aufgestaute Wut an ihr auslassen würde –, doch sie schmiegte sich bloß an Maxwell, die Augen halb geschlossen, während Arthur dicht bei seiner Mutter blieb.
Erde wurde auf den Sarg geworfen. Klonk! Ich sah Jeans Gesicht vor mir, wie sie ihre unheilvolle Botschaft verkündete. Klonk! Teddy, der Pearl schmachtend ansah. Klonk! Mrs Stephens stieß einen spitzen Schrei aus, als ihr Sohn unter der Erde verschwand. Der Wind vom Meer wurde stärker, fegte über uns hinweg und kehrte die Regenschirme nach außen um.
Wie es die Tradition gebot, versammelten wir uns anschließend alle im Gemeindesaal, wo provisorische Tische mit so vielen Pasteten, belegten Broten und Kuchen beladen waren, dass eine ganze Armee davon satt geworden wäre. Zunächst tauschten sich Nachbarn untereinander aus, dann wurden die Unterhaltungen entspannter, als sich die Gäste stärker vermischten – alle außer Maxwell und seiner Familie, die alleine in einer Ecke des Raumes standen.
Mutter und ich unterhielten uns gerade mit Father Kelly, als Mutter auf einmal eine kampfbereite Haltung einnahm wie eine Katze mit gesträubtem Fell.
»Hallo, Eva, Father Kelly, Birdie.« Pearl war vor uns aufgetaucht. Hinter ihr stand Maxwell mit wütender Miene und hielt die Mädchen an der Hand. »Ich bin bloß hergekommen, um tschüs zu sagen, Tricky. Wir gehen jetzt. Maxwell ist furchtbar sauer, dass ich überhaupt hergekommen bin.«
Mutter schnaubte missbilligend, während Maxwells Gesicht rot anlief. Er tat mir leid, so in aller Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden.
»Komm schon, Pearl«, drängte er. »Das hier ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt.«
»Nein«, erwiderte Pearl. »Das war eine schöne Predigt, Father Kelly – zumindest der Teil, den wir mitbekommen haben. Teddy meinte, ich würde selbst zu meiner eigenen Beerdigung zu spät kommen. Es hätte ihn amüsiert, dass ich bei seiner nicht pünktlich war. Sie haben ihm alle Ehre erwiesen.«
»Also wirklich!«, hob Mutter an, aber Pearl redete einfach über ihren Kopf hinweg weiter.
»Ich habe ihn so sehr geliebt«, sagte sie.
»Pearl!« Maxwells Tonfall war nun schärfer.
»Mummy, komm jetzt!«, rief Thomasina, doch Pearl starrte sie an, als wäre ihr die eigene Tochter fremd.
Sie beugte sich zu mir herüber: »Du glaubst, er lag heute dort unter der Erde, nicht wahr, Tricky? Stimmt nicht! Er stand die ganze Zeit neben mir und hat gelacht. Er lag nicht dort unten! Er lebt. Das ist ein toller Scherz, den er sich da mit uns allen erlaubt. Ein doller Jux. Er ist sogar noch trickreicher als du, Tricky!« Sie zwinkerte mir zu und fingerte an ihrer Perlenkette herum. »Er ist jetzt hier und freut sich, dass so viele wegen ihm gekommen sind. Alle glauben, er ist tot! Das ist einfach zu lustig, wirklich!«
Wir schauten zu, wie Maxwell sie aus dem Saal führte. Stumm dankte ich dem Herrn, dass niemand sonst diese Unterhaltung mitbekommen hatte.
»Eine zutiefst verstörte junge Frau«, kommentierte Father Kelly.
Mutter nickte und tippte sich an die Stirn. »Man wird sie nach Süden ins Irrenhaus schicken, wenn sie weiterhin so daherredet! Ich bin mir sicher, sie trinkt.«
Der Tag hatte
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