Dornentöchter
Zeitpunkt und die Art ihres Todes wissen wollen. Glücklicherweise verraten die Geister nichts – jedenfalls meistens.«
Ihre Worte verbreiteten einen Kältehauch im ganzen Raum. Maxwell legte einen weiteren Scheit aufs Feuer.
»Es wird kalt im Zimmer, weil so viele Geister hier versammelt sind«, erklärte Jean fröstelnd. »Das ist ein Zeichen ihrer Anwesenheit.«
»Dann muss es in Blackness House Milliarden davon geben, so eiskalt wie es dort immer ist«, meinte Mrs Bydrenbaugh mit einem verächtlichen Lachen.
»Diana, halt den Mund, sonst bring ich dich um«, rief Pearl. »Und da wir schon davon sprechen, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für unseren Mord – ehe alle zu betrunken sind.«
Maxwell hob den Deckel der Sitztruhe am Fenster an, holte Kostüme heraus und verteilte sie an die Anwesenden, damit sie sie über ihre Garderobe ziehen konnten. Mrs Bydrenbaugh wurde zur Archäologin, während sich die Stephens-Jungs als Ägypter verkleideten. Jean ging als Filmproduzent und ich bekam die Rolle der Naiven an »seiner« Seite, einschließlich blonder Perücke. Maxwell zog einen Damenrock und eine Bluse an und komplettierte seine Verkleidung sogar mit Make-up und einer Perlenkette. Ich staunte über die vielen Kostüme, die Pearl zusammengetragen hatte.
Sobald wir alle über unsere neue Identität im Bilde waren, verteilte Pearl die Handlungsanweisungen. Was folgte, war die lustig-heitere Version eines Mördersuchspiels, dessen Schauplatz eine archäologische Ausgrabungsstätte in Ägypten war. Violet war das »Opfer«. Unter lautem Gelächter wurde sie nahe der Tür auf den Boden gelegt, wo sie angeblich mit einem schweren Gegenstand erschlagen worden war. Die anderen Figuren mussten sich gegenseitig Fragen stellen, um die Identität des Mörders herauszufinden. Das Ganze war nicht sonderlich ernst, und sogar Diana ließ sich dazu herab, mitzuspielen. Sie übertraf sich selbst, indem sie mich, die Naive, als Mörderin entlarvte. Ich hatte Violet getötet, nachdem sie beobachtet hatte, wie ich eine echte Skarabäus-Brosche durch eine Imitation austauschte.
Nur Jean hatte anscheinend keinen Spaß an der Sache. Immer wieder sah sie im Zimmer umher, das Gesicht leicht nach oben gewendet, als würde sie Engelsmusik lauschen. Als Pearl sie drängte, sich mehr einzubringen und ihre Gabe zu nutzen, um die Identität des Mörders aufzudecken, wehrte sie kopfschüttelnd ab. »Mord ist kein Spiel«, stellte sie entschieden fest. »Es würde den Geistern und meiner alten Mutter gar nicht gefallen, wenn ich mit meiner Gabe solche Scherze treibe.« Sie erschauerte wieder und rückte noch näher ans Feuer. »Außerdem sind sie heute Abend alle schrecklich beschäftigt. Ich hab genug damit zu tun, ihnen zu folgen.«
Kurz danach ließen wir uns zu einem Abendessen aus köstlichen Hors d’œuvres, kaltem Braten und Salat nieder, gefolgt von Pavlova und Nachtischcreme. Dazu hörten wir bekannte und beliebte Lieder vom Grammophon. Trotz der ausgelassenen Stimmung und des lauten Gelächters fühlte ich mich jedoch immer unwohler, je später es wurde. Der ganze Abend hatte einen schrecklichen Misston – irgendetwas stimmte überhaupt nicht. Vielleicht lag es auch einfach an Jeans Einfluss und wie sehr sie darauf beharrte, dass die Bewohner der anderen Welt äußerst unruhig waren und angefangen hatten, sich zu versammeln. Trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, dass noch mehr dahintersteckte. Maxwell sah mit seinen Perlen und dem geschmacklosen Make-up unmännlich, ja sogar schwächlich aus. Kam die Missstimmung, die ich spürte, etwa von Maxwell? Ich fragte mich, warum er zuließ, dass sich seine Frau so danebenbenahm. Und ich muss gestehen, dass ich Maxwell zum ersten Mal wegen seiner Schwäche Pearl gegenüber verachtete. Während er bei »Bye Bye Blackbird« mitsang, starrte er seine Frau wie ein verliebter Welpe an. Mein Blick wanderte zu den Stephens-Jungs, die sich in ihren »ägyptischen« Umhängen unwohl zu fühlen schienen. Sie verschlangen Pearl mit Blicken wie hungrige wilde Hunde, die an einem köstlichen, verbotenen Stück Fleisch schnupperten.
Auch Violet war völlig auf Pearl fixiert. Sie unterhielt sich angeregt, aber ihre Stimme war laut und schrill und ihre Mimik so übertrieben, als bemühte sie sich zu sehr, gesellig zu erscheinen. Ihre Mutter dagegen zeigte ein merkwürdiges Lächeln, als würde sie sich insgeheim über etwas amüsieren.
Die Tatsache, dass Victor es immer noch vermied, mir in die
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