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Dornentöchter

Dornentöchter

Titel: Dornentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josephine Pennicott
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Erleichterung! Dann hätte ich zur Abwechslung mal meine Ruhe. Du erzählst ja mehr Geschichten als ich! Wieso nur musst du dich immer so aufspielen? Ich hab deine Schwindeleien so satt!« Pearl zerrte Thomasina aus der Küche und die Treppe hinauf.
    Wir saßen schweigend da und lauschten dem Geschrei von Mutter und Tochter, gefolgt von einem lauten Klaps und Geheul. Ich hatte Thomasina noch nie besonders gemocht und fand ihr mürrisches Wesen und ihre unwirsche Art abstoßend. Ein Zigeunerbalg, nannte Pearl sie oft. Und so grausam diese Stichelei auch war, sie schien tatsächlich zu Thomasina zu passen.
    »Mit der werdet ihr noch ordentlich Ärger haben«, meinte Mrs Bydrenbaugh zu Maxwell. »Wenn ihr jetzt die Rute schont, müsst ihr später die Rechnung dafür bezahlen.«
    Pearl kam zurück in die Küche. »Wie wahr, Diana!«, rief sie. »Aber das kannst du Maxwell erzählen, bis du schwarz wirst. Er verhätschelt die beiden, bis sie das Gefühl haben, sich alles erlauben zu können. Ihr hättet hören sollen, wie sie mich gerade beschimpft hat. Manchmal würde ich sie wirklich am liebsten umbringen. Und dann hab ich noch Angel ertappt: Sie probierte gerade meine Schminke aus, das eitle Ding! Also hat sie auch gleich noch eine Standpauke bekommen. Hausangestellte haben heutzutage keinen Respekt mehr!«
    »Pearl, sei doch still! Du vertreibst uns noch die Geister!«, schimpfte Violet.
    »Ach, so ein Unsinn, Violet!«, entgegnete Mrs Bydrenbaugh.
    Wir blickten alle zu Jean hinüber, die am Kopfende des Tisches saß, das Haupt wie zum Gebet geneigt, die Kristallkugel gegen die Stirn gedrückt. Nachdem sie sich bekreuzigt hatte, hob sie die Kugel hoch über den Kopf. Fasziniert beobachteten wir ihre Darbietung.
    »Dieses Haus hat viel Leid, Sorgen und Traurigkeit erlebt«, sprach sie in die Stille hinein. »Überall ist tiefer Kummer zu spüren.« Violet kicherte nervös, und Pearl starrte sie böse an. »Auch der Boden, auf dem das Haus erbaut wurde, ist kein glücklicher. Die Erde will gesegnet werden. Der Rote Drache muss genährt und besänftigt werden. Ruhelos murmelt der Rote Drache in seinem großen Traum. Er schläft einen unruhigen Schlaf unter der Erde, für die Sterblichen unsichtbar. Dort gibt es ein Medaillon mit einer Haarlocke und die Träne einer Mutter – der Drache bewacht die Locke zwischen seinen Krallen, tief, tief unter der Erde.«
    Ich fröstelte, während ich mir eine solche Szene vorstellte, in den Tiefen der Erde. Beinahe konnte ich die Feuchtigkeit riechen und die riesigen, verkrusteten schwarzen Klauen des Drachen sehen, die das Medaillon und die Locke umklammert hielten.
    »Das sind ja lustige alte Geschichten, die Sie da empfangen, Jean«, meinte Pearl, während sie eine Zigarette in ihre Spitze steckte und anzündete. »Können Sie Ihren Sender nicht auf irgendwelche ruhelosen Geister einstellen, die wollen, dass ihr grausamer Tod gerächt wird? Nicht solche langweiligen alten roten Drachen. Wir brauchen richtige Geister. Irgendwo hier im Haus wird es ja wohl eine graue Nonne oder ein Kind geben, das in seinem Sarg nicht schlafen kann. Alle Häuser in Tasmanien, die was auf sich halten, haben welche!«
    »Gib acht, was du dir wünschst, meine Liebe«, mahnte Maxwell. »Und hör auf, so einen Unsinn zu reden. Du machst Violet Angst.«
    »Buh!«, rief Pearl. Violet schrie erschrocken auf, und Pearl lachte, bis ihr die Tränen kamen.
    Jean funkelte sie an. »Ich kann nur wiederholen: Alles, was ich in Ihrem Haus spüre, ist Elend und Verzweiflung. Die Engel warnen Sie mit ihren Liedern, und es wäre dumm von Ihnen, nicht auf sie zu hören. Ich spreche jetzt nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft.«
    Anspannung legte sich über uns. Wie als Antwort auf das Gesagte sprühte das Feuer Funken und der Wind rüttelte an den Läden.
    Pearl lachte noch lauter. »Nicht doch, Darling!«, sagte sie. »Das ist ja wundervoll düster. Und bestimmt verkünden Sie gleich mit derselben Grabesstimme, dass wir alle innerhalb eines Jahres tot sein werden. Wir sind Figuren in einem Roman von Dumas!« Sie sah uns an, aber niemand ging darauf ein. Gebannt starrten wir alle auf Jean.
    »Ich erzähle Ihnen überhaupt nichts, Madam«, erwiderte Jean. »Ich gebe lediglich weiter, was die Engel mir zuflüstern.«
    »Aber natürlich«, meinte Pearl. »Und? Was flüstern sie denn? Bitte, spannen Sie uns nicht länger auf die Folter, sagen Sie es uns!«
    Jeans Gesicht lag halb im Schatten des Feuerscheins.

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