Dornentöchter
wenig. Phoebe Green, die während unserer gesamten Schulzeit in jeglicher Hinsicht so unscheinbar gewesen war, kannte die Leidenschaft eines Mannes und die Schmerzen der Geburt, während ich – in der Schule für mein künstlerisches Talent und meine Leistungen gelobt sowie für mein Äußeres gepriesen – noch immer alleine war.
Mein Blick wanderte wieder zur Tatlow-Familie hinüber. Marguerite, in ihrem hellrosa Spitzenkleid hübsch wie immer, rannte um den Baumstamm herum und schnitt Maxwell Grimassen, wobei ihr blondes Haar im Wind flatterte. Ihre Schwester ignorierte währenddessen das Spiel und stocherte mit einem Stock an der Baumrinde herum. Sicher versuchte sie irgendein Insekt zu töten.
»Da ist sie! Hab ich dir nicht gesagt, dass sie heute das hübscheste Mädchen hier ist?«
Ich drehte mich um und sah Victor und Teddy hinter mir. Teddys Kompliment ließ mich erröten, und ich nippte verwirrt an meinem Getränk.
»Victor hat nach dir gefragt, also hab ich ihm gesagt, er soll dich besser schnell suchen, bevor dich irgendein anderer wegschnappt«, meinte Teddy. Der normalerweise so stille Fischer war heute redseliger, als ich es gewohnt war. Vielleicht lag es auch nur am Bier, das er in sich hineinschüttete. »Na, jetzt wo wir sie gefunden haben, lass ich euch beide mal quatschen.« Teddy schlenderte in Richtung von Pearls Gruppe davon.
Victor erkundigte sich, ob ich schon etwas gegessen hätte, und als ich verneinte, schlug er vor, wir könnten uns etwas vom Grillstand hinter der Haupttribüne holen, an dem es hoch herging. Nachdem wir unsere Teller mit Würstchen, Zwiebelringen, gebratenen Tomaten und einigen welken Salatblättern beladen hatten, setzten wir uns auf die Tribüne, um das Spiel anzuschauen. Es war an der Zeit für Pencubitts Durchgänge, und die Einheimischen feuerten ihr Team laut an, als die ersten Schlagmänner auf den Platz marschierten.
Victor erzählte mir von seiner neuen Arbeit als Volontär bei der Zeitung in Burnie. Sein Vater war enttäuscht, dass er sich gegen den Eintritt bei der Polizei entschieden hatte. »Er hatte gehofft, ich würde dort die Ausbildung durchlaufen, nach Pencubitt zurückkommen und dann hier übernehmen, wenn er sich zur Ruhe setzt«, sagte er. »Kannst du dir vorstellen, das ganze Leben in diesem Kaff zu verbringen? Ich will die Welt erleben, Birdie! Ich will in London, Paris, New York arbeiten. Ach, egal wo, bloß nicht hier!« Ich teilte seine Sehnsucht nicht. Ich war glücklich in Pencubitt. Ich liebte es, am Meer zu sein und den Wechsel von Ebbe und Flut und die durchziehenden Wolken zu beobachten. Ich verstand seine Rastlosigkeit und den Wunsch, fremde Küsten zu sehen, doch mehr als nach allem anderen sehnte ich mich nach einem eigenen Heim und nach Kindern. Es war für mich fast unmöglich, mir Reisen nach Melbourne vorzustellen, von Europa ganz zu schweigen.
Von der Tribüne aus hatte ich einen freien Blick auf Mutter und Pearl unter ihren jeweiligen Bäumen. Father Kelly näherte sich Pearls Gruppe, unterhielt sich ein paar Minuten mit ihnen und zog dann mit zorniger Miene von dannen. Kurz darauf erhob sich auch Violet, herrschte Pearl offenbar an und lief dann davon, wobei sie sich mit der Hand an die Stirn fasste, als würde sie etwas quälen und ihr Schmerzen bereiten. Ich grübelte jedoch nicht darüber nach, was wohl vorgefallen war. Maxwell sah ab und an zu mir herüber, und ich war eitel genug, mir einzubilden, er sei eifersüchtig darauf, mich mit Victor zu sehen. Von dieser Vorstellung beflügelt, schob ich meinen anhaltenden Groll auf Victor wegen seines Verhaltens an jenem Abend des Mördersuchspiels beiseite und flirtete auf eine Weise mit ihm, die mir gar nicht ähnlich sah. Immer wieder sagte er mir, wie hübsch ich aussähe und dass Blau seine Lieblingsfarbe sei. Er beharrte darauf, dass er mich vermisst hatte und dass es in Burnie keine Mädchen gab, die es mit meinem Äußeren und meinem Verstand aufnehmen könnten. Seine Schmeicheleien stiegen mir zu Kopf, und als er nach meiner Hand griff, ließ ich die Berührung zu, genoss sogar die Wärme seiner Hand auf meiner.
Das Match ging zu Ende. Burnie hatte gewonnen, was den auswärtigen Spielern eine Runde gutmütigen Applaus und Jubel seitens der Heimmannschaft einbrachte, gefolgt von Racheschwüren, Burnie im folgenden Jahr haushoch zu schlagen. Victor hatte den Druck seiner Hand verstärkt: Sein Daumen erkundete meine Handinnenfläche, was mir angenehme Schauer durch den
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