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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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habe mir jemand eine gute Geschichte erzählt.
    Das Büro war tot und still. Ich öffnete die Schubladen und knallte sie wieder zu, nur um das Geräusch zu hören. Ich zog die Schubladen aus dem Archivschrank heraus, hörte das metallische Geräusch, sah die Leere in ihnen und schob sie wieder zu. Ich ging ans Fenster, lauschte meinen eigenen Schritten und starrte hinaus. Dornröschen schlief wohl hundert Jahr, hundert fahr, hundert Jahr …
    Ich ging zum Schreibtisch zurück, setzte mich und rief auf der Wache an. Vadheim war jetzt da. Nein, Lisa war noch immer bewusstlos. Doch, sie arbeiteten intensiv. Nein, sie hatten nichts Neues zu berichten. »Schöne Autos habt ihr zur Zeit«, sagte ich. Er tat, als würde er nicht verstehen, was ich meinte. Wir legten auf.
    Ich blieb vor dem Telefon sitzen, überlegte hin und her, entschied mich und änderte den Entschluss wieder. Zum Schluss wählte ich die Nummer der Werbeagentur, bei der Solveig Manger arbeitete und fragte, ob sie da sei. Die Vermittlungsdame bat mich zu warten, aber ich verlor den Mut und legte auf. Ich hatte heftiges Herzklopfen.
    Ich holte die Büroflasche heraus, schraubte sie auf, roch daran und schraubte sie wieder zu. Mich schauderte. Heute nicht.
    Als ich beschlossen hatte, zu gehen und auf dem Weg zur Tür war, klingelte plötzlich das Telefon. Ich sah auf die Uhr. Es war nach drei.
    Ich nahm ab und sagte: »Hallo? Hier ist Veum.«
    »Oh hallo … Varg. Ich sollte mich vielleicht für deinen letzten Besuch bedanken.« Es war eine Frauenstimme. Ein paar Sekunden vergingen, bevor ich sie einordnen konnte.
    Ich sagte: »Irene Jonassen?«
    »Ja – ich bin’s. Ich – es tut mir Leid, dass ich so kurz angebunden war, Varg, aber – es war eine schwierige Zeit, auch für mich. Du musst das verstehen – es war nicht persönlich gemeint.«
    »Schon gut. Kein Problem.« Ich wartete, denn ich ging davon aus, dass sie mich nicht angerufen hatte, um sich bei mir zu entschuldigen.
    »Ich – ich habe nachgedacht, Varg. Die Polizei war hier. Ich würde gern einmal richtig mit dir reden. Mich aussprechen. Ich bin … müde.«
    »Aha?«, sagte ich in leichtem Ton, aber ich spürte, wie sich die Muskeln in meinem Nacken und in meinen Schultern spannten.
    »Ich – glaubst du, du könntest – könntest du mich treffen … heute Abend? Ich – ich möchte dir etwas zeigen.«
    »Ach ja?«, sagte ich, »deine Briefmarkensammlung?«
    »Was?« Sie hatte nicht verstanden, was ich sagte. »Nein, nicht vor neun. Arve hat eine Sitzung, ziemlich spät, er fährt hier gegen acht Uhr los, und ich – ich komme vorher nicht weg.«
    »Tja«, sagte ich, »wo willst du mich treffen?«
    »Weißt du – weißt du, wo Arve baut, dieses Schulgebäude in – oh, ich weiß nicht mehr, wie die Straße heißt, da oben bei …«
    »Ja. Ich weiß, wo es ist.«
    »Kannst du mich da treffen – um neun?«
    »Davor?«
    »Ja. Vor dem Tor, aber – ich werde einen Schlüssel besorgen.«
    »Meinst du, wir sollen reingehen?«
    »Ja.«
    »Das scheint mir kein sonderlich gemütlicher Ort um – zu reden.«
    »Ich hab dir doch gesagt, ich will dir etwas zeigen, oder?«
    »Das hast du.«
    »Also?«
    Meine Nackenmuskeln waren noch immer angespannt. Mein Mund war trocken. Ich sagte: »Okay. Abgemacht. Ich werde da sein.«
    »Danke.« Das klang trocken und geschäftsmäßig.
    »Willst du mir noch etwas sagen, bevor wir auflegen?«
    »Nein. Wir sprechen uns heute Abend. Dann werde ich dir – alles erzählen.« Es entstand eine kurze Pause. Ich wartete, dass sie den Hörer auflegte. Das tun immer die anderen. Dann fügte sie hinzu: »Übrigens …«
    »Ja?«
    »Damit du ungefähr weißt, worum es geht. Ich war es tatsächlich, die Peter an dem Abend besucht hat. Ich war – die andere Frau.« Dann legte sie auf, und ich starrte das stumme Telefon an, wie immer.
    »Okay, Irene Jonassen«, sagte ich laut in den Raum hinein. »Okay.«

40
    Die niedrige, schwere Wolkendecke und der dichte Regen führten dazu, dass es gegen neun Uhr für einen Junitag schon ungewöhnlich dunkel war. Ich fuhr das lächerlich kurze Stück Schnellstraße in Richtung Danmarksplatz. Im Rückspiegel versuchte ich, die Autos hinter mir im Blick zu behalten. Als ich von der Hauptstraße abbog, folgte mir keines der Autos, die direkt hinter mir gewesen waren. Nur ein Wagen viel weiter hinten in der Schlange bog in dieselbe Richtung ab. Als ich an die Seite fuhr, überholte er mich und fuhr weiter. Es war ein dunkelgrüner Mazda,

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