Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
draußen vorbeizog, ohne mich überhaupt zu bemerken.
Ich saß lange so da. Es gab nichts, das eilte. Ich hatte kein anderes Ziel.
11
Am nächsten Tag begann ich, nach Peter Werner zu suchen. Es war einer dieser plötzlichen Sommertage, die wie Blitze aus heiterem Himmel erscheinen. Schon gegen neun Uhr morgens war die Luft vierzehn, fünfzehn Grad warm und keine einzige Wolke am Himmel zu sehen. Die Berge zeichneten sich scharf konturiert gegen den Himmel ab, und über der ganzen Stadt lag eine merkwürdige, verdichtete Stimmung. Es war, als sei die Sonne eine soeben gezündete Lunte, und die Stadt wartete nur darauf, dass die Bombe explodierte. Es versprach ein heißer Tag zu werden. Ich zog mich leicht an, T-Shirt, Cordhose und Jeansjacke.
Die Firma Arve Jonassen AG hatte ihre Büros im dritten Stock eines dieser unbeschreiblich hässlichen Betongebäude draußen in Nordnes, ganz am Ende der Strandgate. Arve Jonassen war nicht im Hause, er hatte einen Termin auf einer der Baustellen – dem Anbau an einen Schulkomplex im südlichen Teil der Stadt, um elf Uhr, wie ich erfuhr. Wenn es eilte, könnte ich ihn vielleicht dort antreffen. Ich dankte für die Auskunft und sagte ja, es würde eilen.
Die Baustelle lag ungefähr dort, wo das Bergenser Tal am schmalsten ist, wo es nicht viel mehr als eine Viertelstunde dauert, um von einem Berghang zum anderen zu gehen. Ulriken, mit dem charakteristischen schiefen Profil und dem Fernsehsender auf der Spitze lag auf der einen Seite. Auf der anderen lag Løvstakken mit seiner fast afrikanischen Silhouette, die in diesen Tagen an den Kilimandscharo erinnern konnte, wenn man ihn von Nordnes oder Sandviken aus betrachtete.
Ein halb fertiges Gebäude, Fenster und Türen noch nichts weiter als Löcher im grauen Skelett eines Hauses, erhob sich sieben bis acht Stockwerke hoch und ließ die großen, rotbraunen und weißen Villen in der Umgebung aussehen wie Puppenhäuser. Es roch stark nach Kalk, Beton und neuen Holzbalken, und obwohl die Luft warm war, schien mir von dem frischen Beton eine Welle von Kälte entgegenzuschlagen. Eine Betonmischmaschine stand still, aber von weiter oben in dem Gebäude ertönten Geräusche der Arbeiter: Eine Bohrmaschine schrie, während ein Hammer einen unregelmäßigen Takt schlug. Ein großer grüner Lastwagen war auf die Baustelle gefahren und vier Männer liefen mehrere Male mit Planken von der Ladefläche zu einer Palette und wieder zurück. Hoch oben in der Luft über dem Gebäude streckte ein Kran erwartungsvoll seinen Hals aus. Für den Mann im Führerhäuschen mussten wir anderen wie kleine Insekten aussehen, er konnte den Kran herumschwenken und uns alle an den Haken kriegen, wenn er wollte. In seinem kleinen viereckigen Raum war er auf eine Weise der Herrscher der Welt. Auf eine Weise, denn auch er hatte irgendwo ein Lohnbüro, einen Chef, der anstellte und beurlaubte, rauswarf und stattdessen neue Leute einstellte. Der jüngste der vier Arbeiter ging mit bloßem Oberkörper, und die Sonne schimmerte auf seinem kräftigen Körper, dem breiten Rücken, den muskulösen Oberarmen und dem wohlproportionierten Brustkasten. Er hatte halblanges, blondes Haar, ein kräftiges Kinn und einen aufrechten Gang. Seine Jeans waren fast weiß verschlissen, und seine soliden Arbeitsstiefel knirschten beim Gehen. Über dem blonden Haar trug er einen blauen Helm, den er achtlos und schief aufgesetzt hatte. Er erinnerte mich an einen Cowboy. Im Juni, wenn die Sonne scheint und der allererste richtige Sommertag da ist, müsste man Bauarbeiter sein. (Aber im November, wenn der Wind durch die Straßen heult und die unfertigen Gebäude so gastfreundlich wie gekalkte Gräber und so gemütlich wie Wartehallen am Nordpol sind, dann war es ganz gut, Privatdetektiv zu sein, wenn die Leute so nett waren, und einen in Ruhe ließen – und das waren sie ja meistens.)
Gleich links neben der Einfahrt lag eine Planke auf ein paar Steinen, die von den Sprengungen übrig geblieben waren. Auf dieser Planke saßen zwei Männer. Beide hatten ihre Thermoskanne zwischen die Beine geklemmt, und es sah nicht aus, als redeten sie miteinander. Sie saßen nur da und tranken ihren lauwarmen Kaffee, oder was immer sie in ihren Thermoskannen hatten. Auf dem Rücken ihrer geräumigen Overalls prangte ein großes, rotes J.
Als ich durch die Einfahrt trat, sah ich, dass zwischen den beiden Arbeitern eine ganze Generation lag. Der ältere hatte einen grünlichroten Nacken mit
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