Dornröschen schlief wohl hundert Jahr
abgerundet und seine Nase war ziemlich kräftig. Er hatte hellblonde Haare an den Seiten und lange, strähnige Fransen über der errötenden Glatze. Seine Augen waren braun mit roten Kreisen um die Pupille. Das sah etwas komisch aus. Er gab mir die Hand und ich spürte, dass seine Handflächen feucht waren.
Ich stellte mich noch einmal vor, mit meinem Nachnamen, und er stellte mir den anderen Mann vor, den Grund dafür, warum er so klein wirkte. »Dies ist mein nächster Mitarbeiter, Ingenieur Edvardsen …«
»Karsten Edvardsen. Freut mich.« Seine Stimme war ein echter Bass. Er hätte » Ol' Man River« singen können, sodass sogar Ulriken in seinen Grundfesten erschüttert würde. Seine Stimme passte zu seiner Physiognomie. Er war annähernd 1,90 in groß und sah aus, als könne er Granit zerbeißen. Er war besser gebaut als Jonassen, vielleicht weil er zirka zehn Jahre jünger war. Er war in meinem Alter, Ende dreißig. Seine Pfunde waren eher nach dem ursprünglichen Bauplan verteilt als bei Jonassen, und an einigen Stellen hatte er Übergewicht – beispielsweise an den Fäusten. Jeder einzelne Finger sah aus, als könne er gut 250 Gramm wiegen. Dennoch lag ein fast poetischer Zug in seinem Gesicht. Er hatte ein freundliches Lächeln, blaue Augen, in denen es humorvoll blitzte und Lachfältchen in den Augenwinkeln. In seinem Mundwinkel hing ein fast abgebrannter Zigarettenstummel. Er trug keine Kopfbedeckung und sein dunkelblondes Haar war relativ kurz geschnitten.
»Es sieht nicht so aus, als seien sie schon da«, sagte Jonassen zu Edvardson, und im gleichen Atemzug fuhr er an mich gewandt fort: »Was wollen Sie?«
Ich sagte: »Ich suche Peter Werner.«
Jonassen sah mich an. Einen Augenblick lang schien alle Farbe aus seinem Gesicht verschwunden zu sein, aber vielleicht war das nur eine optische Täuschung, denn gleich darauf war er wieder rot, wenn nicht sogar noch röter. Karsten Edvardsen pfiff mir stumm und nachdenklich zu. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich plötzlich klein. All meine 179 Zentimeter reichten irgendwie nicht aus.
»Peter Werner?«, wiederholte Jonassen.
»Ja. Er ist verschwunden und seine Eltern machen sich verständlicherweise Sorgen um ihn.«
Jonassen nickte. »Tja, ich – und was spielen Sie dabei für eine Rolle? Sind Sie von der Polizei?«
»Nein. Ich bin privat hier. Ich bin Privatdetektiv.«
Jetzt sah ich deutlich, wie seine Farbe verschwand. Aber auch dieses Mal kam sie wieder zurück. Er sagte: »Tja, wenn wir helfen können … Lassen Sie uns dort drüben reingehen.«
Er zeigte auf eine grün gebeizte Arbeiterbaracke und ging darauf zu.
Edvardsen folgte ihm, aber hinter mir, wie um den Rückzug zu sichern. Dadurch fühlte ich mich wie ein Gefangener auf dem Weg zu einem Verhör. Und so, als gäbe es keine Chance, seine Meinung zu ändern. Irgendein Würfel war gefallen, aber ich war mir nicht sicher, welcher.
12
An der Baracke war nichts Ungewöhnliches. Um einen kleinen Tisch standen drei oder vier Hocker, und für viel mehr war auch gar kein Platz. An den Wänden standen vier graue Garderobenschränke aus Stahl. Eine Tür führte in etwas, das unverkennbar ein chemisches Klosett war. An einer Wand hing ein Jahreskalender, auf dem mehrere Tage rot eingerahmt waren. Ich nahm an, das waren die Urlaubstage. Um den Kalender herum hingen eine Hand voll auseinandergeklappte Pin-up-Girls, die mit Heftzwecken an der Wand befestigt waren. Es waren alles Freiluftaufnahmen: der gute, alte Strand mit dem guten, alten Meer und der guten, alten Sonne. Eines der Mädchen popelte, allerdings nicht in der Nase. Ein anderes trug eine Hornbrille aus Fensterglas tief auf der Nasenspitze: Sie war wohl der intellektuelle Typ. Ansonsten war es schwierig, die Bilder voneinander zu unterscheiden.
Durch ein schmutziges Fenster strömte die Sonne auf die Tischplatte und beleuchtete ein Muster aus Kerben, Ringen von Kaffeetassen und ein paar eingravierten Initialen. Zu meiner nicht besonders großen Überraschung sah ich, dass Kilroy auch hier gewesen war.
Jonassen ließ sich auf einen der Hocker fallen, zeigte auf einen anderen ihm gegenüber und faltete seine Hände auf der Tischplatte, als wolle er ein kleines Tischgebet sprechen, bevor wir anfingen. Ich setzte mich mit dem Rücken zur Tür. Edvardsen kam nicht mit hinein, sondern stand in den Türrahmen gelehnt, die Arme über Kreuz. Er pfiff leise durch die Zähne, als interessierte ihn das alles nicht die Bohne.
In der Baracke
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