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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Fichten hinaufzuklettern, denn die Äste pressen einen ständig in eine andere Richtung: nach unten. Es war wie durch widerspenstigen Wacholder zu klettern.
    Aber ich kam hoch.
    Das Dach war mit grauen, glatten Schieferplatten gedeckt, aber die alte Dachrinne war stabiler als sie aussah. Sie knirschte rostig und widerwillig, aber sie hielt.
    Ich kam bis direkt an das Hauptgebäude heran und konnte einen kurzen Blick durch das kleine Fenster werfen.
    Das Fenster lag oberhalb der Plankenstapel, und ich sah, dass mein bisheriger Eindruck nicht trog. Die stillgelegte Fabrik war bis an den Rand voll mit dem allerschönsten Baumaterial. Alle möglichen Arten von Holzverkleidungsbrettern, Gipsplatten, Türen, Fenstern, Dachplatten, Bodenplatten, große Rollen Bodenbelag, eine große Auswahl Teppichrollen: alles, was man brauchte, um ein voll ausgerüstetes Bauprojekt anzubieten.
    In einem Glaskasten in einer Ecke des Raumes saß Arve Jonassen über etwas gebeugt, das aussah wie Rechnungsbelege, und ein Stück entfernt war Karsten Edvardsen dabei, noch eine Fuhre Planken auf einen der Stapel zu laden.
    Das alles sah ich mit einem kurzen Blick, denn ich musste mich etwas zu weit zum Fenster vorbeugen, und die Dachrinne war doch nicht so stabil wie ich gedacht hatte. Plötzlich und ohne Vorwarnung gab sie nach, mit einem metallischen Geräusch.
    Einen atemlosen Augenblick lang fuchtelte ich in der Luft herum und trat mit dem linken Fuß gegen die glatten Schieferplatten, während der rechte hilflos in der Luft hing. Ich stemmte beide Handflächen verzweifelt gegen die Holzwand vor mir, aber daran konnte man sich nicht fest halten.
    In einem unerbittlichen Bogen und mit einem halb erstickten Schrei in die Nacht ging ich krachend zu Boden.

26
    Ich landete auf dem Bauch. Mehr oder weniger unbewusst schützte ich Brust und Kopf mit den Ellenbogen und den Unterarmen. Das dämpfte den Aufprall ein wenig, aber dennoch schlug es alle Luft aus mir heraus. Ich blieb ein paar leere, hohle Augenblicke auf den glitschigen Felsen liegen. Rechts rauschte das Meer, schwarz und ungastlich. Es blieb keine Zeit, um mich in den Schutz der Bäume zu retten, und vor mir lag das Fabrikgebäude.
    Wie die meisten Fabriken dieser Sorte war auch diese auf Pfählen über das Wasser gebaut. Die Pfähle waren mit Fundamenten aus Mauersteinen und Zement gestützt, und zwischen diesen Fundamenten gab es Öffnungen. Dahinter hörte ich das Wasser unter das Fabrikgebäude spülen.
    Ich hatte keine Wahl, und so krabbelte ich auf den Knien vorwärts – dort hinein.
    Eine salzige, feuchte Dunkelheit schlug mir entgegen. Ich kroch zur Seite, um mich hinter einem der Zementblöcke zu verstecken. Etwas Dunkles und Haariges schoss an mir vorbei ins Wasser, und ich hörte das schlagende Geräusch eines Rattenschwanzes. Etwas piepste im Dunkeln, und ich merkte, dass ich am ganzen Körper eine Gänsehaut bekam. Fast wäre ich wieder herausgekrochen.
    Aber dann hörte ich draußen ihre Stimmen. Der flackernde Schein einer Taschenlampe streifte mein Versteck. Ich sah kurz den grauschwarzen, pilzbewachsenen Holzboden unter mir leuchten, die glatten, von Muscheln überwucherten Felsen und das schwarze, bewegte Wasser. Kleine, muskulöse Schatten bewegten sich unter dem Holzboden, und einen Augenblick lang sah ich, wie mich gelbschwarze Tieraugen feindlich anstarrten.
    »Was zum Teufel kann das gewesen sein?«, fragte Edvardsen.
    »Bist du sicher, dass da etwas war?«, fragte Jonassen zurück.
    »Klar, verdammte Scheiße, da war was! Ich hab es ganz deutlich gehört. Irgendwas ist zusammengekracht, und irgendjemand hat geschrieen.«
    »Da«, rief Jonassen, »die Dachrinne. Ein Stück abgerissen.«
    »Hmmm.« Ich hörte, dass sie das abgerissene Stück aufhoben, und ich sah deutlich vor mir, wie sie sich umsahen, zuerst zum Dach hoch, dann nach hinten zum Wald, und dann …
    Jetzt tapste etwas direkt in meiner Nähe herum. Ich erahnte das kleine Tier eher, als dass ich es sah. Aber war es nur neugierig – oder hatte es Angst, dass ich mich in seine Jagdgründe hineindrängen würde? Ratten können unberechenbar sein, und diese Wasserratten waren ganz schön kräftige Biester. Ein Biss in die Kehle, und es bestand die Gefahr, dass man dort blieb – für immer.
    »Aber wer zum Teufel kann das gewesen sein?« Das war wieder Jonassen. »Es kann doch niemand ein Interesse daran haben …«
    »Niemand?«
    »Na ja.«
    »Und wenn nun der Junge wirklich gequatscht hat, bevor er

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