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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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starb? Vielleicht würde jemand überprüfen wollen, ob er Recht hatte? Bevor sie etwas unternehmen.«
    »Großer Gott – nicht noch mehr von der Sorte, bitte!«
    »Du kennst doch Junkies. Die brauchen immer Geld, und sie tun alles, um …«
    »Ich weiß!«
    »Aber es könnten natürlich auch … ein paar Jungs von der Insel gewesen sein, die neugierig sind, was hier unten so vor sich geht.«
    »Ja!« Jonassens Stimme klang optimistisch. Gleichzeitig hörte ich Edvardsens schwere Schritte näher kommen.
    Edvardsen sagte: »Wenn sie es also nicht geschafft haben, zwischen den Bäumen raufzukommen, bevor wir …«
    Ein plötzlicher Taschenlampenstrahl schoss unter das Gebäude. Eine Ratte zischte, und wieder platschte ein flinker Tierkörper ins Wasser. Eineinhalb Meter von mir entfernt saß eine auf den Hinterbeinen, mit entblößten Vorderzähnen und giftiggelben Augen. Sie starrte wie hypnotisiert an mir vorbei ins Licht.
    »Ein Rattennest«, zischte Edvardsen. »Wenn sie da rein verschwunden sind … dann guten Appetit.« Das Licht verschwand wieder, und solange ich noch wusste, wo die Ratte saß, trat ich heftig in die Dunkelheit. Ich traf sie, etwas schief, aber heftig genug, um sie ins Wasser zu schmeißen. Sie platschte mit den kleinen Vorderbeinen ins Wasser und zischte mich in blinder Wut an.
    »Hör mal, was da drin los ist«, sagte Edvardsen. »Es wäre total verrückt …«
    »Solltest du nicht trotzdem – nachsehen?«, fragte Jonassen.
    Es wurde still. Der Strahl der Taschenlampe flackerte wieder unter das Haus. Edvardsens Stimme war kühl, als er sagte: »Würdest du da reingehen?«
    »Nein«, war die kurze, abgehackte Antwort.
    »Also … So gut bezahlst du mich nun auch wieder nicht. Ich habe Leute gesehen, die sich wegen Rattenbissen Beine amputieren lassen mussten. Einmal, in Norditalien …«
    »Das reicht. Sie sind sicher in den Wald gelaufen. Hoffen wir, dass es ein paar Jungs waren.«
    »Wir könnten höchstens …« Edvardsens Stimme hatte einen schnarrenden Ton, der mir nicht gefiel.
    »Ja?«
    »Wir könnten hier ein paar ordentliche Bretter an die Wand nageln, mit soliden Nägeln. Den Ausgang versperren, sozusagen. Wenn jemand da drinnen ist, dann hat er in jedem Fall das Vergnügen, wieder rauszuschwimmen – mit all seinen Freunden …«
    Es rauschte in meinen Ohren. Eine dumpfe Wut stieg in mir auf, und wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich die schlechteren Karten hatte, dass da draußen zwei große, starke Kerle standen, dann wäre ich aus der Dunkelheit hervorgekrabbelt und hätte mich auf sie geworfen.
    Jonassen zögerte und sagte dann gedehnt. »Nein. Das dauert zu lange. Wir müssen die letzte Fähre erreichen. Komm schon. Wir scheißen drauf.«
    Dann hörte ich, wie ihre Schritte sich entfernten, kurz darauf Schritte auf dem Fußboden über mir, danach das Startgeräusch des Gabelstaplers.
    Ich kroch aus meinem Versteck und lief gebeugt an der Hauswand entlang, zwischen die Bäume und in den Wald. Ich hörte noch immer das kratzende Geräusch der Rattenschwänze und das böse Zischen aus ihren Kehlen. Ich sank auf dem weichen Waldboden zusammen, blieb liegen und atmete die nasse, tröpfelnde Dunkelheit ein. Ich war völlig durchnässt, aber kein Tier schnupperte an mir, niemand zischte mich mit aufgerissener Schnauze an. Um mich herum war der gute, beruhigende Duft von Kiefern und Fichten, und auf dem Waldboden unter mir lagen braune, lange Nadeln vom letzten Herbst. Sie klebten an meiner Haut im Gesicht und erzählten mir, dass ich lebte. Jetzt spürte ich die Schmerzen nach dem Fall. Der Rücken tat weh. Meine Ellenbogen, Knie und Handflächen waren abgeschürft und wund. Ich blutete aus einem Riss in der Stirn, und meine Hose war zerrissen.
    Aber ich lebte.
    Ich blieb liegen und döste vor mich hin, während der Wald eine regennasse Decke über mich breitete. Als der große Lastwagen startete, schrak ich zusammen. Ich hatte geträumt. Ich hatte in einem weichen Bett gelegen, zusammen mit einer Frau mit unglaublich weicher, warmer Haut, und ihr Haar …
    Ich tastete mich durch die Bäume vor und sah zur Fabrik hinunter. Sie lag jetzt völlig im Dunkeln, wie ein vergessenes Mahnmal einer verblassten Blütezeit. Der Lastwagen blieb stehen und hustete, während sie das Gatter öffneten und wieder schlossen. Dann verschwanden sie in der Nacht.
    Jetzt war es ganz still in der Dunkelheit. Ich sah auf die Uhr. Es war spät.
    Ich stapfte durch den Wald nach oben, hievte meinen Körper

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