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Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Dornröschen schlief wohl hundert Jahr

Titel: Dornröschen schlief wohl hundert Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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schwerfällig über das Gatter und spürte, dass ich den einen Fuß ein wenig nachzog. Bei meinem Auto angelangt, schloss ich es auf und stieg ein. Es startete überraschend bereitwillig. Wahrscheinlich wollte es nach Hause. Ich fuhr langsam, um den Lastwagen nicht einzuholen.
    Als ich beim Fähranleger ankam, lag die Fähre am Kai, und es war kein Wagen zu sehen. Es war auch niemand an Bord. Misstrauisch stieg ich aus und ging zu einem kleinen Häuschen, an dessen Wände mit Heftzwecken Fahrpläne geheftet waren. Die letzte Fähre war schon weg. Die nächste ging um 6 Uhr.
    Ich stand da und sah über den schmalen Fjord. Das andere Ufer war nicht weit. An einem warmen Tag mit über zwanzig Grad Wassertemperatur und einem ausgeruhten Körper hätte man hinüberschwimmen können. Aber nicht zu dieser Tageszeit, in einer regennassen Nacht und mit einem wenn auch noch so kleinen Auto auf der Schulter.
    Ich ging zurück zum Auto und sah mich um. Es gibt nichts Gottverlasseneres als so einen Fähranleger im Vestland gegen halb eins in der Nacht. Schweres, schwarzes Meer schleckt an nassen, grauschwarzen Stegen, und eine leere Fähre liegt am Kai, so als wolle sie sich niemals mehr bewegen. Man fühlt sich wie ein Schiffbrüchiger im Weltraum. Keiner schert sich darum, woher man kommt, wohin man will, wie man heißt …
    Ich rollte mich auf dem Rücksitz unter einer Decke zusammen und konnte doch immer nur einige Minuten schlafen. Ich hatte gehofft, die Frau mit der weißen, weichen, warmen Haut wiederzutreffen, aber sie war verschwunden. Stattdessen träumte ich von Ratten, von großen, zischenden, aggressiven Ratten. Ich schwamm und schwamm in einem zähen, teerartigen Wasser, und um mich herum war ein Meer von Ratten, struppigen, räudigen Ratten …
    Ich wachte davon auf, dass ich keine Luft bekam und einen Krampf im Bein hatte. Ich strampelte und stöhnte vor Schmerz. Irgendwann in der Morgendämmerung ging ich auf den Kai und versuchte, meine steifen, unterkühlten Muskeln zu strecken. Es war noch über eine Stunde hin, bis die Fähre fahren würde. Der Regen hatte aufgehört, die Morgenstunde war grau und schimmernd und über dem Wasser hing ein schwerer Nebel und eine eisige Kälte hielt mich gepackt. Ich hatte Lust auf eine Zigarette.

27
    Ich sollte mir ein größeres Auto anschaffen. Wenn ich weiterhin vorhatte, öfter auf dem Rücksitz zu übernachten, in klatschnassen Kleidern, an einem verlassenen Fähranleger im Vestland – dann sollte ich mir schleunigst ein größeres Auto zulegen. Auch nachdem ich schon über vier Stunden zu Hause war, nachdem ich das sämtliche heiße Wasser für eine lange, heiße Dusche aufgebraucht hatte, nachdem ich eineinhalb Kannen Tee und zwei klitzekleine Schnapsgläser voll Aquavit getrunken hatte, nachdem ich die Morgenstunden zusammengerollt unter einer Bettdecke und einer Wolldecke verbracht hatte, zusammen mit drei Morgenzeitungen und einer amerikanischen Wochenzeitschrift – sogar dann knackte es noch immer in meinen Gelenken, wenn ich die Beine ausstreckte, sogar dann fühlte ich Schauer von wütender Kälte durch meinen Körper strömen, wenn ich mich bewegte. Ich konnte ebenso gut wieder aufstehen. Es hatte keinen Sinn, liegen zu bleiben.
     
    Um zwölf Uhr war ich auf dem Weg nach Fjøsanger. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Straßen waren noch immer dunkel und nass. Ein kalter Wind erinnerte mehr an September als an Juni. Das Wetter war genau passend, um sich zu einem Tee einladen zu lassen.
    Frisch gewaschen, frisch rasiert und in sauberen Kleidern – wie irgendein feuriger Vormittagsliebhaber – parkte ich vor Arve Jonassens großem Haus, stapfte den Schotterweg hinauf zur breiten Eingangstür und klingelte. Die Rhododendronbüsche zierten sich noch, ihre Blütenpracht zu zeigen. Unten über dem Nordåsvann hing tief der Dunst. Das Haus lag still da und schien dem Rauschen des Sommers im Gras zu lauschen. Aber es war nichts zu hören.
    Entweder war die Tür sehr gut isoliert oder sie ging auf Samtsohlen. Als ich den Finger hob, um zum zweiten Mal zu klingeln, öffnete sich die Tür, und da stand sie.
    Sie wirkte nicht sonderlich überrascht. Wahrscheinlich hatte sie mich von irgendeinem Fenster aus beobachtet. Man soll Männer immer etwas warten lassen, bevor man ihnen die Tür aufmacht. Das tat ihnen nur gut.
    Ihr Kopf hing etwas schief auf ihrem langen Hals, und ihr Mund war halb offen und – irgendwie – atemlos, als sie sagte: »Ve-um?«
    Ich

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