Dornroeschenmord
noch lange nicht, daß alles erlogen sein muß«, versuchte Mandy die aufgeregte Frau zu beruhigen. Sie merkte selbst, wie fadenscheinig ihr Argument klang, aber irgendwie hatte sie das Bedürfnis, den Mann vor dieser Hyäne zu schützen. Sie hatte im Gefühl, daß etwas Furchtbares passieren würde, wenn man Grasser die Maske vom Gesicht riß.
»Lassen Sie mich mit meinen Recherchen fortfahren, bevor Sie eine endgültige Entscheidung treffen.«
»Gut, machen Sie weiter. Schließlich steht für uns eine Menge Geld auf dem Spiel. Die Produktion hat uns über hunderttausend Mark gekostet. Und verkaufen können wir den Film nur, wenn er inhaltlich stimmt.« Sie atmete schwer. »Vielleicht haben Sie ja tatsächlich recht, und Grasser hat nicht in allen Punkten gelogen. So ein Spinner.«
Mandy packte ihre Tasche und steckte die Mappe hinein. Dann reichte sie Cordula Schiller ermutigend die Hand. »Wir kriegen das schon in den Griff.« Was bin ich doch für eine gute Lügnerin. »Apropos Spinner«, sie drehte sich noch einmal um, »kann ich davon ausgehen, daß man Herrn Ruttlich wieder in seine Gummizelle gebracht hat?«
Cordula Schiller blickte sie irritiert an. »Was reden Sie denn da? Wissen Sie gar nicht, was er gerade durchmacht?«
»Nein, was denn?«
»Seine Ex-Verlobte ist ermordet worden. Auf ziemlich mysteriöse Weise.« Verschwörerisch beugte sie sich zu Mandy vor. »Es war der Dornröschenmörder. Haben Sie denn nicht davon gelesen?«
»Sie meinen die Innenarchitektin? Und Ruttlich war mit ihr verlobt?« Mandy schluckte nervös.
»Na ja, als der Mord geschah, waren sie schon ein paar Jahre getrennt. Sie hatte einen anderen. Ruttlich war wahnsinnig eifersüchtig. Er ist nie richtig darüber hinweggekommen. Von mir ließ er sich nicht trösten. Leider. Kurz vor Elisabeth Hellers Tod hatten sie wieder angefangen, sich zu treffen. Ruttlich hat sie gefunden. Sie lag tot auf ihrem Bett. Und völlig nackt. Grauenvolle Geschichte, nicht?«
Mindestens so grauenvoll wie deine Sensationsgier, du alte Klatschbase. Laut sagte Mandy: »Sie haben recht, das ändert natürlich die Dinge. Ich wußte nichts über Herrn Ruttlichs Verbindung zu dieser Frau.« Edward … Grasser … Ruttlich. Alle Fäden laufen in meinen Händen zusammen …
»Tja, dann melde ich mich wieder, wenn ich mehr über Richard Grasser weiß.« Leise, als wollte sie verhindern, daß die Regisseurin erneut über sie herfiel, schloß Mandy die Tür hinter sich.
Als sie wieder im Büro war, wählte sie als erstes die Nummer des Gerichtsmedizinischen Instituts. Nach dreimaligem Klingeln hob Christoph Kempf ab.
Weich und warm umspülte das Wasser ihren erschöpften Körper. Ein leiser Duft von Orangenblüten stieg mit dem Dampf nach oben und betäubte Mandys Sinne. Mit geschlossenen Augen lag sie in der großen Badewanne und versuchte, die Eindrücke des Tages aus ihrem Kopf zu verbannen.
Das Klingeln des Telefons schien von weither zu kommen. Langsam ließ sie ihren Kopf ins Wasser sinken. Als sie wieder auftauchte, war das schrille Geräusch verstummt. Erleichtert schloß sie erneut die Augen und lauschte weiter Beethovens Pastorale.
Nach einer Weile stieg sie matt aus der Wanne, schlüpfte in ihren weißen Bademantel und tappte barfuß ins Wohnzimmer. Der Anrufbeantworter blinkte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie die Nachricht abhören sollte, entschied sich dann aber dagegen. Sie wollte Ruhe, nichts als Ruhe.
Im Fernsehen lief gerade »Girl Friends«. Sie legte sich auf die Couch und sah den beiden Hauptdarstellerinnen eine Weile beim Sichverlieben zu, doch dann wurden ihr die Augenlider schwer, und langsam döste sie ein, bis das Telefon wieder klingelte. Einmal, zweimal. Nach dem dritten Läuten nahm Mandy ab.
»Malina? Sind Sie das?« Eine tiefe männliche Stimme klang aus dem Hörer. Bergerhoff. Mit einem Schlag war sie hellwach.
»Frederick Bergerhoff?«
»Ja. Schön, Sie haben mich gleich erkannt.«
»Das liegt aber nicht an Ihrer markanten Stimme, sondern daran, daß Sie der einzige sind, der mich Malina nennt.«
»Oh, so kratzbürstig wie eh und je.«
»Nein, gar nicht. Ich bin nur schnell im Kombinieren. Berufsethos, verstehen Sie.«
»Und wie kombinieren Sie jetzt weiter?« Bergerhoff lachte und genoß ganz offensichtlich ihr verbales Pingpong.
»Mein Lieber, Sie haben mich angerufen. Warum, das müssen Sie mir schon selber sagen.«
»Haben Sie Lust, morgen abend mit mir essen zu gehen?«
Mandy zögerte.
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