Dornroeschenmord
nun hatte er sie als zerzaustes Mädchen vor sich. Doch egal, wie sie ihm bisher begegnet war – immer sprühte sie vor warmem Leben.
Während sie noch immer atemlos vor ihm stand, zupfte er wortlos eine Klette aus den wilden Locken und blickte ihr in die veilchenblauen Augen, die ihm das Gefühl gaben, als tanzten sie unaufhörlich vor Lebenslust. Was für ein Auftritt …
»Fahren wir?« Er schwang sich in seinen Sattel.
»Noch nicht«, wisperte sie ihm zu und deutete auf den Wärter, der mit gestrenger Miene auf die Einhaltung des Radfahrverbots im Park achtete. Erst als sie ihn weit hinter sich gelassen hatten, schwangen sie sich auf die Räder und kicherten wie alberne Teenager, die dem Hausmeister der Schule ein Schnippchen geschlagen hatten.
Im Schatten der alten Kastanienbäume fuhren sie durch den Schloßpark. Das Laub lag gelb auf den Kieswegen, und auf dem angrenzenden Rasen schnatterten Enten. Trotz der zahlreichen Spaziergänger schien es, als habe jemand die Zeit um hundert Jahre zurückgedreht, und wäre eine Dame im Reifrock und mit einem Sonnenschirm in der Hand vorbeigeschritten, so wäre sie wahrscheinlich auf wenig Verwunderung gestoßen.
Mandy und Bergerhoff fuhren bis zur Parkmauer und schlugen dann den Weg nach rechts zum Schloß Amalienburg ein.
»Ich kenne ein schönes Plätzchen für unser Picknick«, rief er ihr über die Schulter zu und bog in einen geschlängelten schmalen Weg ein. Nach mehreren hundert Metern erreichten sie eine kleine Lichtung, in deren Mitte eine knorrige Buche stand.
»Habe ich Ihnen zuviel versprochen, Malina?« Bergerhoff strahlte sie an, während Mandy sich verstohlen ein paar Schweißtröpfchen von der Oberlippe wischte. Sie kramte eine karierte Decke aus ihrem Korb, breitete sie aus und streckte ihre Beine darauf aus. Bergerhoff wühlte in seiner Satteltasche und förderte eine Flasche kalifornischen Cabernet Sauvignon zutage.
»Hm, sehr lecker. Paßt gut zu Hühnchen und Kartoffelsalat«, sagte Mandy und stellte zwei Teller auf die Decke, die sie mit dem duftenden Essen füllte. Bergerhoff verfolgte jede ihrer Bewegungen. Mandys Pullover war ein wenig nach oben gerutscht, und verstohlen glitt sein Blick über die beunruhigenden Rundungen ihres Körpers.
»Ich hoffe, Sie haben Hunger«, sagte sie, während sie ihm einen Teller reichte. Das gegrillte Hähnchen sah verlockend aus, und beim Anblick des Salates aus goldgelben Kartoffeln und aromatischen Kräutern lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Bergerhoff griff nach einem der Hähnchenschenkel und biß herzhaft hinein.
»Hm, genau nach meinem Geschmack. Außen knusprig und innen ganz zart.« Er sprach mit vollem Mund. »Sie dagegen sind um einiges zäher.«
Mandy grinste ihn amüsiert an. »Ich und zäh? Wie meinen Sie das?«
Er wischte sich mit einer Serviette über den Mund, und die Pupillen seiner Augen blitzten leuchtendblau. »Na ja, bei jedem unserer Zusammentreffen haben Sie mir ein völlig anderes Gesicht gezeigt. Nur Ihre Unnahbarkeit ist immer dieselbe.«
»Ich würde es nicht unnahbar nennen. Eher vorsichtig. Ich glaube, der Zeitpunkt unseres ersten Treffens war einfach schlecht gewählt. Ich war auf der Suche nach einem Staubsauger und nicht nach einem Mann.«
»Beziehungsgeschädigt?«
»Nein, ich liebe saubere Wohnungen, deshalb der Staubsauger. Ordnung muß doch sein …« Sie verhaspelte sich und sah ihn unsicher an.
Bergerhoff stellte seinen Teller zur Seite und musterte sie. »Und jetzt befinden Sie sich mitten im Chaos. Richtig?«
Mandy blinzelte nervös und nahm hastig einen großen Schluck von ihrem Wein. »Ach, ist das so? Bisher war mir das nicht bewußt.« Dann senkte sie den Blick und studierte hartnäckig das Muster der Decke.
Bergerhoff blickte sie lange an, bevor er seinen Arm ausstreckte und mit der Hand in das Haar über ihrem Nacken griff. Langsam zog er sie zu sich heran »Aber darüber weißt du doch Bescheid«, flüsterte er, bevor er sie küßte. Einen Augenblick zögerte sie, doch die Sekunden verstrichen, und immer noch hielt sie die Augen geschlossen, fühlte seine weichen, vollen Lippen und seine Zunge, die sachte in ihren Mund glitt. Verwirrt machte sie sich los und strich sich mit einer fahrigen Bewegung durch die Haare.
»Noch mehr Hühnchen?« fragte sie mit einem verlegenen Lachen.
»Nein, lieber noch mehr von dir«, flüsterte er und beugte sich wieder zu ihr vor.
»Nein, warte.« Sie drehte den Kopf zur Seite. »Was tun wir hier eigentlich? Ist
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