Dornroeschenmord
Mageninhalt beschränkte sich auf halbverdaute Salatblätter und Thunfisch. Eine Feinschmeckerin war sie nicht gerade.«
»Und was ist mit äußeren Hinweisen?« forschte Mandy weiter. »War der Körper wirklich völlig unversehrt?«
»Keine Spuren von Gewalt. Sie war eine der hübschesten Leichen, die ich je gesehen habe«, grinste Christoph. »Keine Striemen, Einstiche oder Hämatome verunstalteten ihren Alabasterleib. Man hatte ihre Leiche nach dem Mord gewaschen und mit Rosenöl einbalsamiert. Sie duftete wundervoll, als sie hier ankam.«
»Christoph, entdecke ich da einen Anflug von Nekrophilie?« zog Mandy ihn auf. »Apropos Leichenschändung – hatte sie vorher noch …« Sie zögerte einen Augenblick. »Na, du weißt schon – hatte sie vorher noch Herrenbesuch?«
»Ach, du willst wissen, ob wir Spuren von Sperma gefunden haben?« Christoph lächelte anzüglich. »Ja, haben wir. Relativ frisch gezapft übrigens. Wir schätzen, daß sie ungefähr zwei Tage vor ihrem Tod zum letzten Mal Verkehr hatte.«
»Kann man das denn so genau feststellen?« fragte Mandy verblüfft.
»In der Leiche sind Spermien bis zu zwei Wochen lang nachweisbar. Der Nachweis erfolgt gewöhnlich in einem ungefärbten Präparat mit …«
»Ja, ja, schon gut«, unterbrach Mandy seine ausführlichen Erläuterungen. »Aber weiter sind wir immer noch keinen Schritt.«
Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Was hat es eigentlich mit den Rosen auf sich? Die Zeitungen haben nie so genau darüber berichtet.«
Christoph nickte. »Die Toten trugen eine Krone aus Rosen auf dem Kopf, und zwar so fest hineingerammt, daß die Stacheln sich ringsum tief in die Haut gebohrt hatten. Die Verletzungen, die dadurch verursacht wurden, waren natürlich nicht tödlich. Ich denke, der Mörder wollte damit eine Botschaft übermitteln. Aber das fällt nicht in mein Ressort. Das ist Sache des Polizeipsychologen.«
Christoph klappte die Akte zu und legte sie zurück in den Schrank. Als er sich Mandy wieder zuwandte, überlegte er, warum sie wohl ein so lebhaftes Interesse an den Mordfällen hatte. Es konnte doch nicht sein, daß sie sich immer noch durch die Rose vor ihrer Bürotür bedroht fühlte. Oder?
Mandy wich seiner Frage aus. »Ach, im Grunde ist es nichts als professionelles Interesse. Du weißt ja, meine Agentur läuft noch nicht allzugut, also versuche ich eben, mir auf diese Art mehr Erfahrung zu verschaffen.«
»Und haben dir meine Erläuterungen dabei geholfen?«
»Sicher …«, sagte Mandy, stand langsam auf und zog ihre Jacke über. »Danke für deine Bemühungen, Christoph. Ich melde mich dann wieder bei dir.«
Ihr Freund blickte ihr besorgt hinterher. Er wußte genau, daß sie log. Er fragte sich nur, warum.
13
Es wird mit Recht ein guter Braten
gerechnet zu den guten Taten.
Und daß man ihn gehörig mache,
ist weibliche Charaktersache …
WILHELM BUSCH
Draußen schien immer noch die Sonne, die Menschen schwitzten in ihren Herbstmänteln. Doch Mandy, die sich sonst über jeden Sonnenstrahl freute, hatte sich tief in Richard Grassers Vergangenheit vergraben. Sie dachte unentwegt an das, was Christoph ihr erzählt hatte, und das Bedürfnis, Licht in diese Düsternis zu bringen, wurde immer stärker.
Sie führte ein paar Telefonate und fand heraus, daß Grasser niemals am Stadttheater in Passau gespielt hatte, ebensowenig wie in Würzburg, Bremen, Gießen oder Castrop-Rauxel. Langsam bezweifelte Mandy, daß er überhaupt jemals auf einer Bühne gestanden hatte.
Sie warf noch einmal einen Blick in seine Vita und zählte insgesamt vierzig verschiedene Bühnenengagements. Das Papier mit den Aufzeichnungen verschwamm vor ihren Augen, und Mandy geriet noch mehr ins Grübeln. Was verbarg er wohl hinter seiner Maske? So viele Antworten lagen schon parat. Aber welche war die richtige?
Sie seufzte laut. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, daß sie sich beeilen mußte, wollte sie pünktlich zu ihrer Verabredung mit Frederick Bergerhoff erscheinen.
Als sie mit dem Fahrrad das Tor zum Nymphenburger Park erreichte, war es zehn Minuten nach drei und ihr blau-weiß gestreifter Strickpulli völlig durchgeschwitzt. Das Thermometer war inzwischen auf über zwanzig Grad geklettert.
Frederick Bergerhoff war schon da und lehnte mit verschränkten Armen an seinem Alu-Sportrad, sichtlich amüsiert über ihr aufgelöstes Erscheinungsbild. Er hatte sie als kühle Lady kennengelernt, deren scheue Nachdenklichkeit den Eroberer in ihm geweckt hatte, und
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