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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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aus Erfahrung weiß ich, daß Leute, die um Rat fragen, eigentlich nur eine Bestätigung dessen wollen, was sie sich selbst schon gedacht haben. Das einzige, was ich dir deshalb sagen kann, ist: Bleib einfach ehrlich dir selbst gegenüber.«
     
    Edward parkte seinen Wagen in der Garage. Er war müde und erschöpft. Der Aktenberg auf dem Schreibtisch in seiner Kanzlei ähnelte dem Drachen aus der Sage, dem für jeden Kopf, den der Held ihm mit dem Schwert abschlug, zwei neue nachwuchsen. Edward sehnte sich nach einem ruhigen Abend, und er sehnte sich nach Mandy. Wie schon unzählige Menschen vor ihm bemerkte er, wie bedeutsam jemand wird, nachdem man ihn verloren hat. Er seufzte und schloß die Haustür auf. Die Diele war nur schwach erleuchtet, und aus dem großen Salon klang Musik:
     
    »When she woke up and found
    that her dream of love was gone, Madam,
    she ran to the man
    that had led her so far astray.
    And from under her velvet gown
    she drew a gun and shot her lover down, Madam.
    Miss Otis regrets she’s unable to lunch today.«
     
    Krächzend und knisternd füllte der alte Plattenspieler die Räume mit der Silberstimme von Ella Fitzgerald. Offensichtlich hatte seine Mutter Bekannte eingeladen.
    Doch als Edward den Raum betrat, war Gwendolyn allein. Sie saß inmitten von unzähligen brennenden Kerzen und trug ein Kleid, das aus ihrer Jugendzeit stammen mußte. Das Oberteil aus schwerer dunkelroter Seide lag eng um die Taille, während der Ausschnitt die gefleckte Haut freigab, die dünn über den Knochen lag. Der Rock aus schwarzer Spitze bauschte sich um ihre Hüften.
    Ein Glas in den Händen haltend, saß sie regungslos da, und es hatte es den Anschein, als befände sie sich in einer entfernten, versunkenen Welt. Es war ein bizarres Bild. Eine traurige Traviata, die überlebt und doch verloren hatte.
    »Es hat keinen Sinn, sich zu wehren. Was uns ausmacht, ist unsere Vergangenheit. Keiner ist am Ende das, was er einmal war«, sagte Gwendolyn, und ihre Stimme klang so gespenstisch, als käme sie aus dem Mund einer Toten. Mit einer leichten Geste fuhr sie über den schimmernden Stoff ihres Kleides, und ihre grünen Augen schweiften ziellos durch den Raum. Ein erschreckender Glanz lag in ihnen, und Edward fühlte, wie die Tragik eines vergangenen Lebens nach ihm griff. Er gab ein nervöses Lachen von sich.
    »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    »Wir wissen selten, wovon der andere spricht. Wir glauben immer nur zu verstehen. Meist ist es nur ein kleiner Teil dessen, was der andere tatsächlich meint. Unser Verständnis umfaßt nur das, was wir aus eigener Erfahrung nachempfinden können.«
    »Da geht es mir nicht anders.« Edward setzte sich und ließ den Blick nicht von ihr. Das Erscheinungsbild seiner Mutter in der prächtigen alten Robe erschien ihm unwirklich und peinlich. Sie offenbarte ihm einen Teil von sich selbst, den er lieber nicht sehen wollte.
    All die Jahre hatte sie ihre innersten Gefühle vor ihm verborgen. Sie war ihm immer ein wenig fern von allem erschienen, als lebte sie in einer Welt, zu der er keinen Zugang hatte. Als er noch ein Junge war und seine Mutter in ein Zimmer gehen sah, hatte Edward sich manchmal versucht gefühlt, plötzlich die Tür zu öffnen. Aber er unterließ es, weil er Angst hatte, niemanden vorzufinden.
    Mit der Zeit war dieser Impuls schwächer geworden, und Edward hatte gelernt, seine eigenen Gefühle vor anderen zu verschließen. Das beherrschte er inzwischen meisterhaft, es hatte aber auch zur Folge, daß er seiner Mutter nicht mehr zuhören wollte.
    Gwendolyn hatte sein Zögern beobachtet. Sie erhob sich und drehte sich im Kreis zur Musik, als tanze sie mit einem unsichtbaren Gegenüber. Der weite Rock schwang dabei anmutig um ihre Beine, und jegliche Verbitterung war aus ihrem Gesicht gewichen. Für einen kurzen Augenblick bekam er eine Vorstellung vom Liebreiz, den die junge Gwendolyn einst gehabt haben mußte.
    »Ich weiß, daß dir dies alles seltsam erscheinen muß.« Sie trat zu ihm hin und ergriff seine Hände. »Ich trug dieses Kleid an einem Abend, der vielleicht der schönste in meinem Leben war. Es war vor fast vierzig Jahren auf einem Ball, und ich verliebte mich zum ersten Mal. Ich war sechsundzwanzig Jahre alt und glaubte, meine Herkunft und meine Schönheit seien die Eintrittskarte zum vollkommenen Glück. Ich fühlte jene arrogante Sicherheit, die man nur so lange besitzt, bis die erste Enttäuschung die eigenen Mängel sichtbar macht.

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