Dornroeschenmord
wonach sie sich in der Nacht nach ihrem Geburtstag vor ihrer Wohnungstür bücken wollte. Wie lange war das eigentlich schon her?
»Wie kommen Sie darauf, daß die Spange mir gehört?« Ihre Worte schienen von weither zu kommen, und sie wunderte sich, daß sie imstande war, einen klaren Satz zu formulieren.
»Berechtigte Frage, Mädchen. Ich wußte es auch lange nicht, ich wußte nur, daß jemand hier gewesen sein mußte. Sie hätten eben vorsichtiger sein müssen mit dem, was Sie Cordula Schiller über mich erzählt haben. Sie mögen sich für schlau halten, aber was Ihre Menschenkenntnis angeht – da müssen’S noch viel lernen. Haben Sie denn nicht erkannt, daß die Frau ihren Mund nicht halten kann?«
Mandy dachte an das Dossier über Grasser, das Dorothee ihr geschickt hatte, und erinnerte sich daran, wie nachdrücklich sie Cordula Schiller auf die verheerenden Folgen hingewiesen hatte, falls man Grasser mit seiner Lebenslüge konfrontierte. Schlampe, alte Schlampe. Trotz ihrer Wut zwang sie sich zu einem sachlichen Ton.
»Wissen Sie, Herr Grasser, es richtet sich gar nicht gegen Sie persönlich, ich habe einfach nur meinen Job gemacht.« Sein Gesicht verzog sich zu einem zynischen Grinsen.
»Ja, Sie haben Ihren Job gemacht und nicht eine Sekunde daran gedacht, daß Sie damit eine Existenz zerstören. Meine Existenz.« Seine Hand ballte sich wieder zur Faust, und für einen Moment befürchtete Mandy, er könnte sie schlagen. Doch dann wurde er zu ihrem Erstaunen ganz ruhig.
»Wir werden uns jetzt unterhalten, Frau Maltzan. Wenn schon, dann sollen Sie auch alles über mich erfahren. Aber vorher werde ich Sie noch losbinden.« Das hoffnungsvolle Flackern in ihren Augen entging ihm nicht. »Nein, denken Sie nur nicht, Sie hätten damit die Chance zu entkommen. Ich habe etwas anderes für Sie.«
Er stand auf und machte sich an einem kleinen Tisch in der Mitte seines Mausoleums zu schaffen. Erst als er sich schnaufend wieder in ihre Richtung bewegte, nahm sie das Aufblitzen einer Nadel in seiner Hand wahr.
Glauben Sie, daß Elisabeth Angst hatte, als sie dem Tod gegenüberstand? hörte sie in ihrem Innern Ruttlichs Stimme und dachte daran, wie sie Grassers Namen in Elisabeth Hellers Kundenkartei entdeckt hatte. Wie hatte sie so verblendet sein können, an seine Unschuld zu glauben? Als er den Ärmel ihres Pullis nach oben schob, wußte sie, daß es vergeblich sein würde, sich zu wehren. Die Fesseln machten es ihr unmöglich, sich auch nur einen Millimeter zu rühren.
Bitte, lieber Gott, laß es schnell gehen. Ihr Weinen war lautlos und heftig. Dann spürte sie den Stich schmerzhaft und tief in ihrem Muskel, und sie wunderte sich, warum er ihr den tödlichen Stich nicht im Genick verabreichte – wie bei den Frauen zuvor.
Edward nahm seine schwarze Reisetasche vom Gepäckband. Gerade war sein Flugzeug aus Hannover gelandet. Er sah auf die Uhr: halb vier. Es blieb also genügend Zeit, um noch im Lauf des Nachmittags mit seiner Mutter zu sprechen.
Daß sie ihn so lange mit dieser Lüge hatte leben lassen, verbitterte ihn. Doch jetzt würde er sich nicht abweisen lassen, sondern auf eine Antwort bestehen. Am Ende dieses Tages, das hatte er sich vorgenommen, würde er wissen, welche Rolle Frank von Arnstein im Leben seiner Mutter und damit auch in seinem gespielt hatte.
Obwohl es schon dämmerte, brannte hinter den Fenstern der Habelsbergschen Villa kein Licht. Das Haus sah aus, als sei es von all seinen Bewohnern verlassen. Nur die blauäugige Siamkatze der Nachbarn strich um den schmiedeeisernen Zaun. Als Edward die geräumige Diele betrat, kam ihm Frau Hindenberger, einen Silberleuchter polierend, entgegen.
»Mei, Herr von Habeisberg, jetzt san’S ja schon viel früher da, als die Frau Gräfin gedacht hat, und zum Essen hab ich rein gar nix da. Hätten’S halt noch einmal angerufen, dann hätt ich schon was gemacht.«
»Das macht gar nichts, Frau Hindenberger, ich habe im Flugzeug schon eine Kleinigkeit gegessen. Können Sie mir sagen, wo meine Mutter ist?«
»Genau hat sie mir’s riet gesagt, wo sie hingegangen ist. Aber ich glaub, spazieren wollt’s gehen.« Ein wenig ratlos blickte sie ihn an.
»Dann weiß ich schon Bescheid, Frau Hindenberger.« Edward nickte der Frau, die immer noch pflichtbewußt den Silberleuchter polierte, freundlich zu und ging die Treppe hinauf in sein Zimmer. Er zog sich rasch um und machte sich auf den Weg. Wie er seine Mutter kannte, kam für sie an einem solchen
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