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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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stand für Edward völlig außer Zweifel. Wie sonst hätte er über Jahre die Kraft aufbringen können, für zwei andere Menschen so uneigennützig dazusein?
    Als hätte Gwendolyn seine Gedanken erraten, wandte sie sich ihm zu: »Er wußte es von Anfang an. Aber es hat an seinem Verhältnis zu dir nichts geändert. Für ihn bist du nie etwas anderes als sein Sohn gewesen. Und es wäre jetzt auch falsch von dir, die Geschichte einseitig zu betrachten. Du hast viel von ihm bekommen, das ist wahr. Aber du hast ihm auch viel gegeben.«
    Gwendolyns Worte waren ein Trost, wenn auch nur ein schwacher. Edward griff nach der Hand seiner Mutter. »Laß uns jetzt nach Hause fahren«, sagte er.
    »Ja, nach Hause«, erwiderte sie.
     
    Sie öffnete die Augen. Seltsamerweise war sie am Leben. Noch. Ihr Körper hatte eine beängstigende Veränderung erfahren: Die Lähmung schritt in Etappen voran, durchzog erst jeden einzelnen Finger, glitt dann vom Unterarm in den Oberarm, setzte sich über den Rumpf und die Schenkel bis zu den Zehen fort. In sanften, regelmäßigen Wellen überkam die Starre ihren geschwächten Körper.
    Unter äußerster Anstrengung nahm sie wahr, wie ihr Brustkorb sich mechanisch hob und senkte, als würde er von einer Maschine betrieben. Eigenartig, daß sie trotz der Gefahr keine Angst mehr empfand. Warum ließ der Tod so lange auf sich warten?
    Sekunden wurden zu Minuten, und Minuten schienen sich zu Stunden zu dehnen. Ihr Körper war mittlerweile völlig erstarrt, doch das Herz schlug regelmäßig. Immer noch pumpte ihr Brustkorb Luft durch die geweiteten Lungenflügel, doch mit jedem Atemzug schien sich der Sauerstoff darin zu verringern. Die Trockenheit ihrer Lippen war unerträglich, ihre Zunge war nur noch ein taubes Stück Fleisch, das immer mehr anschwoll, bis Mandy schließlich zu ersticken glaubte.
    Wie lange lag sie überhaupt schon in diesem verdammten Kellerloch? Jegliches Zeitgefühl war ihr abhanden gekommen, Kontrolle über ihren Körper hatte sie nicht mehr, was ihr durch den stechenden Geruch, der sie umgab, nur um so deutlicher wurde. Was war Grassers Absicht? Wollte er sie in ihrem eigenen Dreck verfaulen lassen? Seitdem er ihr die Injektion verabreicht hatte, war er verschwunden. Obwohl Mandy sicher war, allein im Raum zu sein, hatte sie plötzlich das Gefühl, daß jemand sie beobachtete. Mühsam versuchte sie, den Kopf zu heben, doch es gelang ihr nicht.
    Ein leises Tappen bestätigte ihren Verdacht, und aus den Augenwinkeln sah sie Grassers grauen Pudel, der sie aus seinen braunen, glänzenden Augen reglos anblickte. Sie öffnete den Mund, um ihn zu sich zu rufen, doch über ihre Lippen kam nur ein heiseres Krächzen.
    In diesem Moment setzte das Zittern ein. Ein Zittern, das ihren ganzen Körper schüttelte und nicht zu steuern war. Die Fesseln an Händen und Füßen schnitten tiefer ein und hinterließen brennende Stellen auf der Haut. In rücksichtslosen Attacken übernahm das Zittern die Herrschaft über sie.
    Als sich Grassers Schritte näherten, waren Stunden vergangen. Er hatte sein Ziel fast erreicht. Mandy war zu schwach, um sich zu wehren, und wußte gleichzeitig, daß ihr Widerstand die einzige Chance sein würde, wenn sie überleben wollte. Als Grasser sich neben sie setzte und den Puls an ihrem geschundenen Handgelenk fühlte, sah sie den Irrsinn in seinen Augen.
    »Das Zittern braucht Sie nicht zu ängstigen.« Seine Stimme drang durch eine unsichtbare Wand zu ihr, und nur langsam verstand sie den Sinn seiner Worte. »Das ist nur die Nebenwirkung. Ich habe Ihnen Haloperidol gespritzt. Dreizehn Milligramm. Sie wissen, was Haloperidol ist?« Fürsorglich tätschelte er ihre Hand. »Es ist ein Neuroleptikum. Man gibt es bei Schizophrenie.« Er lachte diabolisch.
    »Sicher haben Sie bemerkt, daß es eine dämpfende Wirkung hat, aber keine Angst, auch das Gefühl der Lähmung geht vorüber. Ich dachte, es sei die wirkungsvollste Methode, Sie ruhigzustellen. Sie müssen ja nicht die ganze Zeit gefesselt bleiben«, sagte er und löste die Stricke von den Eisenstäben.
    »Was wollen Sie von mir? Wollen Sie mich töten?«
    »Töten, was ist denn das für ein Ausdruck? Sie sind doch keine tollwütige Hündin.« Ohne eine weitere Erklärung hielt der Arzt ihr ein Glas Wasser an den Mund, und die Flüssigkeit rann wohltuend durch ihren trockenen Rachen.
    »Verzeihen Sie, daß ich Sie so vernachlässigt habe. Soll nicht wieder vorkommen. Ich werde mich jetzt um Sie kümmern, und

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