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Dornroeschenmord

Dornroeschenmord

Titel: Dornroeschenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kalman
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später werde ich Sie auch waschen.«
    Man hatte ihre Leiche nach dem Mord gewaschen und mit Rosenöl einbalsamiert. Sie duftete wundervoll, als sie hier ankam. Nichts wäre ihr lieber gewesen, als dem sanften Dämmern nachzugeben, das sich nach und nach ihres Gehirns bemächtigte, und sanft in den Schlaf hinüberzugleiten. Jeder Gedanke war das Ergebnis mühseliger Anstrengung. Was hatte Grasser mit ihr vor? Hatte er auch mit den anderen Frauen sein psychopathisches Spiel getrieben, bevor er sie umbrachte? Und wenn ja, wozu?
    Doch je länger Grasser ihr Ende hinauszögerte, desto größer war die Möglichkeit zu überleben. Und noch größer war die Möglichkeit, wenn sie sein Spiel durch subtiles Taktieren hintertrieb. Aber war sie dazu überhaupt in der Lage? Plötzlich begann Grasser zu sprechen.
    »Die tragischen Einzelheiten meiner Kindheit muß ich Ihnen ja wohl nicht mehr schildern. Aus dem Bericht, den Sie dieser dreckigen Nutte von Regisseurin gegeben haben, geht ja schwarz auf weiß hervor, daß Sie sich eifrig in Eichberg umgetan und informiert haben.«
    »Wie kommen Sie an den Bericht?« flüsterte Mandy schwach.
    »Haben Sie geglaubt, dieses Aas hätte sich den Triumph entgehen lassen, mir Ihr Geschmiere unter die Nase zu halten?« Grassers Stimme war mittlerweile zu einem Dröhnen angeschwollen. Unter der Haut seiner geröteten Stirn zeichnete sich eine bläuliche Ader ab, und die Augäpfel quollen ihm aus den Höhlen.
    »Haben Sie jemals darüber nachgedacht, wie sehr jemand unter einer solchen Vergangenheit leiden könnte? Wissen Sie denn nicht, daß die Vergangenheit immer die Gegenwart beeinflußt und sie manchmal unerträglich macht? Wenn Sie Ihren Grips ein kleines bißchen anstrengen, müßten Sie sich vorstellen können, wie schlimm es war, das Kind dieser Mutter zu sein. Dabei bestand ihr Verbrechen einzig und allein in der Liebe zu einem Mann, den zu lieben eine Institution verboten hatte. Damit war ihr Todesurteil gesprochen, und meines auch. Denn Leben konnte man die ersten achtzehn Jahre meines Daseins nicht nennen. Es war eine Qual. Eine Qual, die am Morgen begann und in der Nacht nicht endete. Können Sie es sich vorstellen, wie es ist, immer der Außenseiter zu sein? Ritschi-Dick, Ritschi-Dick« – Grassers Stimme klang plötzlich wie die eines gehässigen Kindes – »haben sie mich gerufen. Keiner wollte mich, keiner hatte auch nur das geringste Mitgefühl. Alle waren der Überzeugung, daß ich mein Schicksal mehr als verdient hatte. Können Sie mir mal erklären, wie ein Kind das verkraften soll?«
    »Wissen Sie, als ich von Ihrer Geschichte hörte, hatte ich Mitleid mit Ihnen. Aber Sie haben über die Jahre alle betrogen, und am meisten sich selber.« Trotz der starken Anspannung kamen Mandy die Worte einigermaßen flüssig über die Lippen.
    »Sie und Mitleid«, höhnte der Arzt, »wo Sie doch nichts Besseres zu tun hatten, als diese Informationen meistbietend zu verhökern.«
    Er holte aus und versetzte ihr mit seiner Faust einen brutalen Schlag ins Gesicht. Ihr Kopf schnellte zur Seite, und er hielt inne. Der Ausbruch schien ihn erleichtert zu haben, denn mit einem Mal wurde er ruhiger, und während das Dröhnen in Mandys Schädel zu einem Summen verklang, sank seine Stimme auf ein normales Niveau herab und klang beinahe freundlich.
    »Ich weiß, daß Sie vor Angst fast vergehen. Und wäre ich an Ihrer Stelle, erginge es mir nicht anders. Aber keine Sorge, bevor ich Ihnen nicht alles gesagt habe, werden Sie nicht sterben. Und glauben Sie mir, Ihr Anblick erfreut mich in höchstem Maße. Jetzt sind Sie mir genauso ausgeliefert wie ich damals meinen Peinigern. Und ich war noch hilfloser als Sie, denn lange Zeit konnte ich mir nicht erklären, was ich überhaupt verbrochen haben sollte. Und als ich es dann begriffen hatte, kam ich über die Ungerechtigkeit nicht hinweg. Bis heute nicht.«
    Anfangs hatte alles, was er sagte, in Mandys Ohren überlegt und nachvollziehbar geklungen. Doch allmählich war ihr deutlich geworden, wie weit er sich von der Realität entfernt hatte und wie wenig es ihm gelang, sich und seine Situation klar einzuschätzen. Mit einem fanatischen Ausdruck in den blauen Augen, die ihr Strahlen längst verloren hatten, fuhr er fort:
    »Wie viele Menschen kennen Sie, die das Vermögen haben, andere zu heilen und gleichzeitig zu den größten Schauspielern gehören? Wer überlebt schon einen schweren Motorradunfall, wie ich ihn hatte, und besiegt auch noch eine

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