Dornröschenschlaf
angesehen hatte â dann aber verdrängte sie das Bild. Was auch immer er ihr sagen wollte, konnte warten. Denn sonst hätte er sie doch bestimmt beiseitegenommen und ihr gleich erzählt, worum es ging.
Sie würde Nelson nach Hause bringen, Maya von der Chorprobe abholen und dann aus der Normalität ihres Zuhauses bei Morasco anrufen. Erst mal musste sie sich ganz auf Nelson konzentrieren, aus dessen Zuhause jede Normalität verschwunden war.
»Wundern Sie sich nicht, wenn es bei Ihnen zu Hause etwas anders aussieht als gewöhnlich«, sagte sie zu ihm. »Die Garage ist versiegelt â weil dort schlieÃlich Ihre Frau gefunden worden ist â, aber das Haus gehört jetzt wieder Ihnen.«
»Wieder?«
»Ja.«
»Dann haben sie also mein Haus durchsucht?« Nelson riss die Augen auf und wurde noch bleicher.
»Sie haben nach Spuren eines Einbruchs und vielleicht nach Blut gesucht«, erklärte Brenna ihm. »Sie haben mir nicht viel erzählt, aber ich hatte den Eindruck, als hätten sie sich eher flüchtig umgesehen. Sie haben gesagt, was mit Carol passiert ist ⦠wäre wahrscheinlich bereits über eine Woche her.«
»Haben sie ⦠haben sie irgendetwas mitgenommen?«
Bevor sie vom Parkplatz auf die StraÃe fuhr, bedachte Brenna Nelson mit einem nachdenklichen Blick. Dann sah sie wieder nach vorn und bog in die dunkle stille StraÃe ein. »Was sollen sie nicht finden?«
Nelson antwortete ihr nicht, aber das war auch nicht erforderlich. Um halb eins mittags hatte sie Theresa Koppelson im Gedränge der Schaulustigen entdeckt. Ihre Haare waren kürzer, wiesen ein paar grelle Strähnen auf, sie hatte ein paar zusätzliche Falten um die Augen und gleichmäÃig verteilt ein bisschen mehr Gewicht als zehn Jahre zuvor gehabt, als hätte jemand sie mit einer Fahrradpumpe angepikst und drei- oder viermal gedrückt.
Sofort hatte Brenna die müde, verhärmte Theresa von damals vor sich gesehen, der sie in der Einfahrt ihrer Kolonialvilla begegnet war. Theresa allerdings hatte, wie nicht anders zu erwarten, keine Ahnung mehr davon gehabt, wer Brenna war.
Da sie angenommen hatte, dass Brenna eine Journalistin war, hatte sie ihre Fragen über Carols groÃzügiges Wesen und ihr Engagement bei wohltätigen Projekten der Gemeinde wortreich beantwortet, bis Brenna schlieÃlich hatte von ihr wissen wollen, ob Carol irgendeinen Grund gehabt haben könnte, am Fall Iris Neff interessiert zu sein. Theresa, deren damalige Scham anscheinend längst verflogen war, hatte sie fragend angesehen.
»Am Fall Iris Neff?«
»Ja.«
»Das ist lange her.«
»Jemand hat mir erzählt, Carols Mann wäre im Zusammenhang mit diesem Fall vernommen worden. Können Sie sich vorstellen, warum?«
»Nun â¦Â«
»Ja?«
»Hier in Tarry Ridge war es allgemein bekannt, aber wahrscheinlich ist es besser, wenn Sie nicht darüber schreiben.«
»Selbstverständlich.«
»Offen gestanden, habe ich keine Ahnung, warum Carol bei ihm geblieben ist. SchlieÃlich ist es nicht so, dass die beiden Kin-
der hatten, um die sie sich Gedanken hätten machen müssen oder so.«
»Biegen Sie nach links in die Bahhhhnaby Lane ein«,forderte GPS -Lee sie mit gedehnter Stimme auf.
»Wissen Sie, was seltsam ist?«, fragte Brenna Nelson. »Im Grunde brauche ich gar kein GPS . So, wie mein Hirn funktioniert, brauche ich nur einmal irgendwo gewesen zu sein, um mich daran zu erinnern, wie ich dorthin komme. Ich weià sogar immer, welche StraÃen EinbahnstraÃen sind.«
»Und warum haben Sie dann ein Navi?«
Brenna zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht weil man damit nicht so alleine ist.« Sie sah ihn lächelnd an. »Das verstehen Sie doch bestimmt.«
Er starrte aus dem Fenster. »Ja.«
»Also. Ich habe gehört, Sie hätten ein Verhältnis mit Lydia Neff gehabt.«
Nelsons Kopf fuhr ruckartig zu ihr herum. »Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Spielt das eine Rolle? Anscheinend war das allgemein bekannt.«
»Das ⦠das ist nicht wahr. Ich schwöre bei Gott, das ist nicht wahr.«
»Nelson«, sagte sie. »Wir kennen uns erst seit einem Tag, und trotzdem kann ich schon mehrere wichtige Dinge aufzählen, bei denen ich entweder von Ihnen belogen worden bin oder die Sie mir verschwiegen haben.«
»Das ist etwas
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