Dornröschenschlaf
Wentz ⦠und auch Vertrauen. Allzu viele Dinge nahm man dann erst richtig wahr, wenn sie verschwunden waren.
15
Bis zum nächsten Tag hatte das Wentzâsche Haus eine völlige Verwandlung durchgemacht â die nicht unbedingt zu seinem Vorteil war. Brenna hatte eine Nachricht auf der Mailbox ihres Handys vorgefunden, der zufolge Nelson sie so schnell wie möglich sehen wollte, und als sie in Richtung Muriel Court gefahren war, war sie davon ausgegangen, dass die StraÃe seit dem letzten Abend unverändert war. Sie hatte gedacht, dass auÃer ein paar Fetzen Absperrband, ein, zwei besonders hartnäckigen Journalisten sowie vielleicht einer Handvoll Gaffer nichts mehr zeigen würde, dass an diesem Ort etwas Entsetzliches geschehen war.
Stattdessen traf sie in der StraÃe eine Heerschar von Reportern an, die sie an die live übertragene Verfolgungsjagd nach O. J. Simpson am 17. Juni 1994 denken lieà⦠Brenna konnte einfach nicht verstehen, weshalb sie fast das Dreifache an Kameras und Ãbertragungswagen wie am Vortag vor dem Grundstück stehen sah. Carols Leichnam lag im Leichenschauhaus, die Beamten waren abgezogen, und das bisschen Absperrband und die leere Garage boten kein besonders interessantes Bild.
Brenna sah sich suchend in der Menge um. Trent sollte sie hier mit den Informationen zu Carols Kreditkarte, dem aktualisierten Bild von Iris Neff und allem, was er sonst vielleicht noch rausgefunden hatte, treffen, aber es war alles andere als leicht, in diesem Gedränge irgendwen zu finden â selbst wenn dieser Mensch eine Vision mit orangefarbener Haut, einem ärmellosen Netzhemd sowie dick gegelten Haaren war und routinemäÃig zur BegrüÃung lautstark »Yo!« statt »Hallo!« schrie.
Sie parkte ihren Van an der nächsten, einen Block entfernten QuerstraÃe hinter einer langen Schlange anderer Fahrzeuge, die teilweise sogar in zweiter Reihe standen, und marschierte, während sie sich weiter suchend in der Menge umsah, in Richtung von Nelsons Haus.
Als sie näher kam, bemerkte sie, dass alle ihre Kameras und Mikrophone testeten und im Kampf um eine möglichst gute Position rücksichtslos nach vorn drängten, wie es während des Berufsverkehrs auf den Bahnsteigen der U-Bahn üblich war. Brennas Magen rutschte ihr bis in die Kniekehlen. Er ⦠er hatte ⦠Nelson hatte doch wohl nicht â¦
Bevor sie ihren Satz auch nur zu Ende denken konnte, entdeckte sie Jims zweite Frau, Faith Gordon-Rappaport, und wusste, Nelson hatte es getan. Die Moderatorin des beliebten Fernsehmorgenmagazins Sunrise Manhattan tauchte nämlich garantiert niemals irgendwo auf, wo sie nicht eingeladen war. Oh, Nelson. Was in aller Welt haben Sie sich dabei gedacht?
Faith sprach mit ihrem Kameramann â einem klapperdürren, schlechtgelaunten Kerl in einem klassischen grün-schwarz karierten Hemd und mit einem dieser struppigen, zerrupften Bärte, die bei Teens und Twens im Augenblick in Mode waren. Durch diesen Hipster-Look, der nicht nur aus ungepflegten Bärten, sondern auch aus fürchterlichen Topfschnitten bestand, wurde die naturgegebene Attraktivität der Träger wie im aktuellen Fall mühelos um mindestens achtzig Prozent herabgesetzt.
Neben der sonnigen Faith nahm sich der Kerl wie die reinste Gewitterwolke aus, und bestimmt kam Faith nur deshalb mit ihm klar, weil sie der umgänglichste Mensch auf Erden war. Brenna näherte sich Faith, die mit ihrem cremefarbenen Wollkostüm und dem mit einem farblich passenden Clip zurückgesteckten, goldenen Haar an Eleganz nur schwer zu überbieten war. Lebten sie in einer Seifenoper, würde Brenna Faith wahrscheinlich dafür hassen, dass sie ihr das Herz eines Mannes gestohlen hatte, den sie â im wahrsten Sinne des Wortes â nie würde vergessen können, oder wenigstens dafür, dass sie eine ehemalige Miss Georgia war und stets zu ihren Kostümen passende Clipse trug.
In Wahrheit allerdings war Faith ein wirklich netter Mensch. Sie war eine wunderbare Stiefmutter und Brenna gegenüber derart rücksichtsvoll, dass sie in den sieben Jahren, seit sie Mrs Rappaport geworden war, Maya immer zu ihr brachte oder sie abholen kam, weil sie verstand, dass Brenna Jim nur ins Gesicht zu sehen brauchte, damit ihr Herz bei der Erinnerung an ihre Zeit mit ihm aufs Neue brach. Es gehörte einiges dazu, dass sie anderen nie unter die Nase rieb,
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