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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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tanzten die Flocken vor unseren Augen. Selbst der Weg direkt vor dem Haus war in der Finsternis und dem Schnee kaum zu erkennen.
    Marië lachte. »Du hast bestimmt Angst, du könntest morgen früh erfahren, daß ich heute nacht gestorben bin, oder?«
    »Hör mir bloß mit so was auf! Schließlich bin ich die ganze Nacht auf – und zwar allein«, sagte ich laut. Aber mir fiel ein, daß mich der Gedanke, der Geist der toten Marië würde mich besuchen, tatsächlich vorhin beschlichen hatte.
    Marië, die im Schnee mitten in der Nacht barfuß an mein Fenster klopft.
    »Übrigens, gestern habe ich seit langer Zeit mal wieder von Yoshihiro geträumt.« Marië holte knallrote Handschuhe aus ihrer Tasche, zog sie über und schlackerte mit meinen Schuhen, die ihr viel zu groß waren. In der schneidend kalten Luft hallte ihre klare Stimme durch die Nacht.
    »Diesen Traum von Yoshihiro, den hatte ich wirklich schon ein paar Monate nicht mehr. Ich sehe darin seine Gestalt von hinten, in einer schwarzen Jacke. Also, ich gehe eine Straße entlang. Weiter vorn in der Menschenmenge ist eine Gestalt, die ich schon mal gesehen habe. Wer ist das wohl, wer war das noch, denke ich und beschließe, zunächst mal der Gestalt zu folgen und sie mir genauer anzusehen. Im Näherkommen gerate ich dermaßen außer Fassung, daß mir fast schlecht wird, ich bin völlig unruhig. Es ist jemand, den ich wahnsinnig liebe. Ich weiß nicht, was das ist, aber in mir fließt alles über vor Liebe. Ich möchte ihn so fest umarmen, daß ich ihn schier zerdrücke, und fliege auf ihn zu. Als ich meine Hand auf seine Schulter legen will, fällt mir plötzlich sein Name ein. ›Yoshihiro!‹ rufe ich und werde von meinem eigenen Schrei wach. Obwohl ich auf dem Sofa im Wohnzimmer lag, war er so laut, daß meine Mutter aus dem hinteren Zimmer kam und fragte: ›Hast du gerufen?‹ Ich sagte zwar: ›Ich hab nur schlecht geträumt‹, aber der Schreck saß mir noch in den Gliedern.«
    Erzählte mir das nur, um es loszuwerden, winkte zum Abschied und verschwand mit lachendem Gesicht im Schneegestöber.
    Als Yoshihiro plötzlich beschlossen hatte, nach Japan zurückzukommen, erkannte ich schon am Tonfall seiner Stimme, daß es mit Sarah und ihm aus war. Warum, wußte ich nicht, es war eher Intuition.
    »Mich hält hier nichts mehr, ich komm zurück«, sagte er am Telefon.
    »Soll ich dich abholen?« fragte ich. Irgendwie kam mir die Idee, daß es schön wäre, die Schule zu schwänzen und nach Narita zum Flughafen zu fahren.
    »Wenn du Zeit hast, komm. Ich lad dich auch zum Essen ein«, sagte er.
    »Zeit hab ich, und einzuladen brauchst du mich nicht. Übrigens, soll ich noch jemanden mitbringen? Vielleicht die Mädchen, die dich mit verabschiedet haben?« fragte ich.
    »Die nicht. Frag Marië …«, sagte Yoshihiro in dem Lärm am anderen Ende.
    Marië.
    Einen Augenblick zögerte ich, ohne den von ihm genannten Namen mit unserer Cousine Marië in Verbindung bringen zu können. »Marië? Warum Marië?«
    »Sie hat mir ein paarmal geschrieben, und vor einem halben Jahr ist sie kurz in Boston vorbeigekommen. Zu dritt waren wir essen, mit Sarah. Also, frag sie doch mal.«
    Schon damals wurde mir klar, daß Yoshihiro angefangen hatte, sich in Marië zu verlieben. Er sprach ihren Namen ganz offen aus, ohne seine Gefühle verbergen zu wollen.
    Ja, von klein auf existierte zwischen Marië und meinem Bruder etwas, das sie gegenseitig anzog, obwohl sie es gar nicht besonders darauf anlegten. Etwas, weswegen sie sich wohl irgendwann einfach ineinander verlieben mußten. Etwas, das mit den Jahren, mit den Erfahrungen in anderen Beziehungen, ihr Verhältnis zueinander immer klarer werden ließ.
    Ich rief Marië an und fragte sie, ob sie mit nach Narita kommen wolle. »Klar!« sagte sie. Auf dem Rückweg von New York habe sie einmal einen Abstecher nach Boston gemacht.
    »Abends haben wir zusammen gegessen. Sarah hatte sich total verändert. Dünner geworden war sie, schweigsam, und sie lachte nicht. Sie benahm sich wie eine Erwachsene. Yoshihiro war, ganz gleich ob in Japan oder in Boston, fröhlich wie immer, auch gegenüber Sarah. Bloß, Sarah sah völlig fertig aus. Warum, weiß ich nicht. Ich spürte nur, daß es mit den beiden schon aus war … Das ging mir nicht aus dem Kopf, und als ich wieder in Japan war, hab ich ihm geschrieben. Aber von Yoshihiro kam nur eine ganz normale Antwort: Sarah geht’s gut. Sarah ist ein tolles Mädchen. Japan fehlt mir, ich würde gern

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