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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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Mann.«
    »Ihr hört einem aber auch überhaupt nicht zu!« maulte Yoshihiro.
    »Ich verstehe schon ungefähr, was du meinst, aber ich, ich möchte tatsächlich eine gute Partie machen. Denn ich habe viele Freunde, von denen ich mich nicht gerne trennen möchte, und dieses Hin- und Herziehen mag ich nicht …«
    Damals kam mir Marië, die drei Jahre älter war als ich, bereits ziemlich erwachsen vor. Immer schon konnte sie das, was sie dachte, auf Anhieb in die richtigen Worte packen.
    »Ich möchte die ›Große Liebe‹ erleben.«
    »Und was soll das sein?« fragte mein Bruder.
    »Na ja, im großen und ganzen gar nicht so ein anderes Leben führen als im Moment, nur eben noch die ›Große Liebe‹ dazu. Sich nach ihr zurücksehnen, wenn sie schon längst in die Brüche gegangen ist. Und hängenden Kopfes einen anderen heiraten. Denn eine ›Große Liebe‹, die muß einfach unglücklich enden.«
    »Ich verstehe dich«, sagte ich.
    »Verrückte Weiber!« meinte Yoshihiro.
    Mari ë lächelte. »Werd du lieber schnell richtig reich. Dann lande ich bei dir, wenn meine ›Große Liebe‹ vorbei ist. Das wäre praktisch und, weil wir uns gut kennen, eine ganz sichere Angelegenheit.«
    Mein Bruder war wohl schon damals beliebt bei den Frauen. Obwohl von seiner älteren und schönen Cousine dermaßen geneckt, konterte er, ohne auch nur eine Miene zu verziehen oder rot zu werden: »So denkst du dir das also! Na gut – abgemacht!« sagte er. »Und wie sich unsere Eltern freuen werden!«
    »Ach, wär das schön, wenn wir zusammen wohnen könnten, Marië!« meinte ich. Marië lächelte und nickte.
    »Ich frag mich, was da noch so alles auf uns zukommt«, sagte Yoshihiro wie zu sich selbst. Heute kommt mir das eigenartig vor. Wie konnte Yoshihiro das Leben bereits in so jungen Jahren irgendwie begriffen haben? Wieso schien er zu wissen, wie das geht, Pläne zu schmieden, nicht auf der Stelle zu treten, immer weiter vorwärts zu gehen?
    Die ganze Zeit liefen wir am Fluß entlang. Ich empfand alles als still und friedlich, obwohl das Wasser recht laut toste. Da wir drei deshalb aber ziemlich laut sprachen, klang jedes unserer harmlosen Worte seltsam bedeutungsschwanger.
    Ich denke oft an jene Nacht, sehe genau vor mir, wie der Fluß immer weiter fließt, in die Ferne.
    Ein Jahr ist es jetzt schon her, daß Yoshihiro tot ist.
     
    Diesen Winter haben wir wirklich viel Schnee. Vielleicht bin ich deswegen schon tagelang abends nicht rausgegangen. Ich bin zwar an der Uni, habe aber beschlossen, ein Semester zu wiederholen, und muß deswegen keine Nachprüfungen machen. Obwohl ich mich also eigentlich in der glücklichen Lage befinde, Zeit zu haben, habe ich ohne besonderen Grund alle Einladungen zum Skifahren und eine Reise in ein Onsen { * } abgesagt. Vielleicht, weil ich das Gefühl genieße, eingeschneit zu sein. Das gewohnte Stadtbild hat sich mit dem Make-up aus Schnee in eine Science-fiction-Szenerie verwandelt, einfach toll. Die weiß gepuderte Stadt scheint in einer Zeitverwehung zu stecken, die alles zu einem kompletten Stillstand gebracht hat.
     
    Auch in jener Nacht schneite es. Draußen fielen die Flocken immer dichter, und der Schnee wurde höher und höher. Meine Eltern schliefen schon, die Katze ebenfalls, nichts rührte sich mehr im Haus. In der ungewöhnlichen Stille drang mir nur schwach das Summen des Kühlschranks aus der fernen Küche und das Brummen der Autos ans Ohr, die tief in der Nacht auf der großen Straße vorbeifuhren.
    Ich war gerade ganz in ein Buch versunken. Daher hatte ich das Klopfen eine Weile überhaupt nicht bemerkt. Als ich schließlich hochschreckte, sah ich am Fenster eine kalkweiße Hand, die leise rhythmisch an die Scheibe pochte. Unheimlich vibrierte der ganze Raum in dieser Szene, die an eine Geistergeschichte erinnerte. Weil ich mich so furchtbar erschrocken hatte, konnte ich nur stumm aufs Fenster starren.
    »Shibaaami!« drang es gedämpft durch die Scheibe, zusammen mit einem mir nur zu gut bekannten Kichern: Marië! Ich stand auf und ging ans Fenster. Als ich es öffnete und hinaussah, blickte eine weiß verschneite Marië zu mir hoch und lachte.
    »Mensch, hast du mich erschreckt!« Ich meinte zu träumen. Daß da plötzlich Marië stand, konnte ich kaum glauben. Bis vor etwa drei Monaten hatte sie bei uns gewohnt.
    »Du wirst dich gleich noch mehr erschrecken«, sagte sie und deutete nach unten. Als ich in der Finsternis meinen Blick im Schein des Fensters auf ihre Füße

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