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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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richtete, schrie ich auf – Marië hatte keine Schuhe an! Und die ganze Zeit wehte mit dem Wind Schnee ins Zimmer.
    »Komm rein«, sagte ich, »komm rum zur Haustür.« Sie nickte und stapfte in Richtung Garten davon.
    Durch und durch naß stand Marië dann im Eingang, mit eiskalten Händen. »Sag mal, was ist denn los?« fragte ich sie, während ich ihr ein Handtuch gab und die Heizung hochstellte.
    »Ach, eigentlich nichts«, meinte sie mit knallroten Wangen und ohne ein Wort darüber zu verlieren, ob ihr kalt oder warm war. Dann zog sie ihre nassen Strümpfe aus, setzte sich hin und hielt die nackten Füße an den Ofen. Die Katze, die sehr an Marië hing, schlüpfte durch den Türspalt herein und strich an ihr vorbei. Marië wohnt bei ihren Eltern und darf nicht weg, ohne sich abzumelden. Wahrscheinlich hatte sie in dieser Nacht, als sie vom Fenster aus dem Schnee zusah, einfach Lust bekommen, nach draußen zu gehen. Und um ihren Eltern nicht Bescheid sagen zu müssen, war sie wohl ohne Schuhe aus dem Fenster gestiegen. Ein Glück, daß auch ihr Zimmer im Erdgeschoß liegt … Das alles ging mir durch den Kopf, während ich zusah, wie Marië die Katze streichelte. Dann stand sie auf.
    »Trinkst du einen Kaffee mit?« fragte sie mich. Als ich nickte, öffnete sie die Tür und huschte hinaus in die Küche. Die Katze blieb an Mariës Platz zurück und rollte sich zusammen. Plötzlich erschien es mir immer zweifelhafter, daß Marië gerade eben noch hier gewesen sein sollte. Ja, so war das auch schon gewesen, als sie noch bei uns wohnte. Mit einer Natürlichkeit, die auch Katzen eigen ist, streifte sie leichtfüßig durchs Haus, und wenn man sie in Ruhe ließ, sagte sie die ganze Zeit kein Wort, träumte vor sich hin oder schlief. Marië warf keinen Schatten. So als ob sie gar nicht da wäre.
    Früher war sie ganz anders.
    Montags englische Konversation, dienstags Schwimmen, mittwochs Teezeremonie, donnerstags Ikebana … – das war Mariës Leben gewesen. Immer hatte sie etwas zu tun gehabt; sie war der Typ, dem einfach alles gelang. Die Marië von damals – schon allein mit ihrer Anwesenheit hatte sich etwas Strahlendes ausgebreitet. Eine ausgesprochene Schönheit ist sie sicher nicht, aber mit ihren langen Beinen sieht sie ziemlich gut aus. Ihre Züge sind unglaublich zart und fein, und ihr Gesicht vermittelt den Eindruck von Reinheit. Aber daß sie heute einfach nur unglaublich still wirkt, liegt bestimmt nicht an dem vergessenen Mascara, Rouge oder an ihren fünfundzwanzig Jahren.
    Marië hat alle Reaktionen auf die Außenwelt auf off gestellt, das steht fest. Sie nimmt eine Auszeit, weil ihr das Leben nur noch wie eine Last vorkommt.
    »Bitte sehr, mit Milch!«
    All das war mir durch den Kopf gegangen, bis Marië mir mit einem Lächeln die Tasse reichte.
    »Danke«, sagte ich. Mit einer Tasse starken schwarzen Kaffees in der einen Hand lächelte Marië wieder, so wie sie es immer getan hatte.
    »Willst du heute nacht hierbleiben?« fragte ich. Mariës Zimmer war als Gästezimmer so gut wie unverändert geblieben. Eigentlich klar, denn als Marië dort wohnte, hatte sie praktisch nur darin geschlafen, fast wie jemand auf der Durchreise. Selten hatte sie dort gelesen oder Musik gehört und war auch kaum ausgegangen.
    Marië schüttelte den Kopf: »Nee, ich gehe lieber zurück, bevor rauskommt, daß ich hier war. Sonst gibt es wieder Streß. Ich hatte nur Lust bekommen, mit irgend jemandem zu reden. Und da dachte ich mir, wenn überhaupt jemand so spät noch auf ist, dann du.«
    »Für den Rückweg leihe ich dir aber Schuhe«, sagte ich.
    »Über was wolltest du denn reden?«
    »Das kann ich eigentlich gar nicht sagen. In etwa nur, daß ich wieder in Ordnung bin oder so.«
    Weil es mitten in der Nacht war, hatten wir beide unbewußt geflüstert. Deshalb kam es mir so vor, als könnte ich das Rieseln des dicht fallenden Schnees hören. Hinter den beschlagenen Fensterscheiben tanzten die Flocken weiß durch die Finsternis. Alles schien sanft zu leuchten.
    »Irre viel Schnee.«
    »Ja. Heute nacht bleibt bestimmt viel liegen«, sagte Marië einfach so dahin. Obwohl sie barfuß in tiefer Finsternis über den Asphalt hergelaufen war, schien ihr die Kälte nichts ausgemacht zu haben. Ich betrachtete sie von der Seite: Die Haare lang, der Mund klein und rund, so blätterte sie ohne besonderes Interesse in einer neuen Zeitschrift.
    Als Marië nach Hause ging, brachte ich sie bis zum Tor.
    Es schneite wie verrückt, wild

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