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Dornroeschenschlaf

Dornroeschenschlaf

Titel: Dornroeschenschlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Banana Yoshimoto
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zurück?«
    »Nicht, daß ich wüßte.«
    »Aha«, sagte ich mit einem Kopfnicken. Ken’ichi hatte offensichtlich vor, nur den Leuten das Geld zurückzugeben, die er leiden konnte.
    »Wieso? Hat er sich denn bei dir gemeldet?« fragte Tanaka.
    Aber ich schüttelte den Kopf. »Nee.« Bloß keine Komplikationen! Mir wollte er schließlich das Geld zurückgeben.
    »Übrigens … in letzter Zeit sieht man deine Cousine öfter.«
    Marië und Tanaka kannten sich vom Sehen.
    »Wo denn?« fragte ich.
    »Na ja, in dem Café an der Kreuzung, das bis morgens auf hat, oder auf der Straße, oder im DENNIS, dem Laden der Restaurantkette. Im Grunde überall hier in der Gegend, immer nachts.«
    »Nachts.« Ich nickte. Marië war also nicht nur gestern durch die Nacht gestreunt. Als abendliche Vergnügungen konnte man diese Aktivitäten sicher nicht bezeichnen, das war eher das Umherstreifen einer Nachtwandlerin.
    Wie war das wohl, in verschneiter Nacht zu meinem erleuchteten Fenster hochzuschauen? Wenn es draußen finster ist, wirkt mein Zimmer sicher strahlend hell. Und bestimmt schön warm.
    Als ich darüber nachdachte, wurde ich ein wenig traurig. Also dann! Wir verabschiedeten uns und gingen in verschiedenen Richtungen davon.
     
    Ob ich Marië wohl antreffe? überlegte ich auf dem Heimweg von meinem Job und schaute in das dämmrige Café rein, von dem Tanaka gesprochen hatte. Schummrig war selbst das Licht in diesem Laden, der auch noch direkt an einem Friedhof lag. Die ganze Gegend wirkte düster.
    Da saß Marië, die Ellbogen auf den Tisch gestützt. Ich ging zu ihr rüber: »Marië!«
    »Hey, gerade richtig«, meinte sie und zeigte auf die Einkaufstüte, die auf dem Stuhl neben ihr lag.
    »Gerade richtig? Wieso?« fragte ich und setzte mich ihr gegenüber.
    »Da drin sind deine Schuhe.«
    Ich lachte: »Ach so.«
    Marië lachte zurück und reichte mir die Papiertüte vom Kaufhaus Isetan rüber. Bestimmt hatte sie meine alten Treter schön getrocknet und gewienert und in einen hübschen Karton gesteckt. Diese ordentliche, kultivierte Art. Bloß noch eine alte Gewohnheit aus vergangenen Zeiten, dachte ich und betrachtete sie irgendwie wehmütig wie den Geist einer Verstorbenen.
    »Du wolltest also zu uns?« fragte ich.
    »Ja. Und weil alle Fenster dunkel waren, wollte ich schon unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen«, sagte Marië. Nachdem ich einen Gin Tonic geordert hatte, richtete ich ihr Mutters Worte aus: »Sie sagt, du sollst tagsüber vorbeikommen. Nachts erscheinst du ihr wie eine Traumgestalt, und sie hat nichts von dir, meint sie.«
    Marië lachte. »Hahaha, Tantchen war doch völlig verschlafen. Ich habe mitgemacht, weil sie so eigenartig geredet hat.«
    »Das hat sie selbst auch gemeint«, sagte ich, und wir schwiegen eine Weile. Ich trank meinen Gin Tonic, und Marië sah mit weitgeöffneten Augen aus dem Fenster auf die vorbeifahrenden Autos. So unglücklich wirkte sie gar nicht. Aber als Mädchen war sie nie eine Nachteule gewesen und bis spät in die Nacht aufgeblieben. Selbst wenn wir uns gegenseitig besuchten, war sie nach zehn Uhr immer eingeschlafen. Obwohl Marië meine Cousine ist und ich sie von klein auf kenne, schien es nun, als habe sie ganz neue, mir völlig unbekannte Züge angenommen. Plötzlich sagte sie:
    »Wußtest du, daß Sarah schwanger war?«
    »Was?« sagte ich nur und sortierte eine Weile die Worte »Sarah« und »schwanger« in meinem Kopf. »Ich hatte nicht die leiseste Ahnung«, antwortete ich, als ich dann endlich begriffen hatte.
    »Ach so. Mir ist das auch gerade eben erst wieder eingefallen. In solchen düsteren Cafés mit lauter Musik kommen einem plötzlich Dinge in den Sinn, die man schon längst vergessen hat, oder? Und außerdem sitzt schon die ganze Zeit ein Mädchen mit blauen Augen an dem Tisch da hinten. Deshalb dachte ich daran, wie es Sarah wohl geht …«
    »Ist das Kind von Yoshihiro?«
    »Er sagte, er wüßte es nicht.« Marië lachte. »Sarah war doch lange Zeit hin- und hergerissen. Zwischen einem Typen in Boston, den sie schon als Kind kannte, und Yoshihiro. Daß Jungs vom Lande oft zwei Freundinnen haben, eine zu Hause und eine da, wo sie zur Uni gehen, ist ja nichts Neues. Und bei Sarah war es eben dasselbe – nur international. Yoshihiro sagte, er hätte erst davon erfahren, nachdem er in Boston angekommen war. Letzten Endes hat er sich offenbar von selbst zurückgezogen. Denn Yoshihiro war ja Japaner, und ihm war klar, daß er irgendwann wieder nach Japan

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