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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Badezimmer. Sehen Sie nach, ob sie irgendeinen persönlichen Gegenstand hiergelassen hat.«
    Vicary konnte hören, wie Harry im Arzneischränkchen stöberte. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück und sagte: »Nichts, was einer Frau gehört.«
    »In Ordnung. Fürs erste habe ich genug gesehen.«
    Sie gingen wieder nach unten, vergewisserten sich, daß die Tür zum Arbeitszimmer zugesperrt war, und verließen das Haus.
    Sie hatten um die Ecke geparkt. Als sie auf den Gehweg einbogen, hob Vicary den Blick zu der Terrasse des Hauses gegenüber. Er senkte ihn sofort wieder. Er hätte schwören können, daß er in dem dunklen Fenster ein Gesicht gesehen hatte. Ein Männergesicht - dunkle Augen, schwarze Haare, schmale Lippen. Er spähte noch einmal verstohlen nach oben, doch das Gesicht war verschwunden.
    Horst Neumann spielte mit sich selbst ein Spiel, um sich die leidige Warterei zu verkürzen: Er prägte sich Gesichter ein. Er hatte es darin zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Er konnte in einem Zug oder auf einem belebten Platz mehrere Gesichter betrachten, sie in seinem Gedächtnis speichern und dann eines nach dem anderen vor sein geistiges Auge treten lassen, so wie man in einem Fotoalbum blättert. Er fuhr die Strecke Hunstanton - Liverpool Street so oft, daß er ständig Gesichter sah, die ihm bereits vertraut waren. Da war zum Beispiel der pummelige Vertreter, der immer das Knie seiner Freundin tätschelte, bevor er sich in Cambridge mit einem Kuß von ihr verabschiedete und nach Hause zu seiner Frau ging. Die alte Jungfer, die stets den Tränen nahe schien. Oder die Kriegswitwe, die verloren aus dem Fenster starrte und, wie Neumann sich vorstellte, das Gesicht ihres Mannes in der vorüberziehenden graugrünen Landschaft sah. Er kannte alle Leute, die in den Häusern am Cavendish Square wohnten, und er kannte diejenigen, die sich gern auf die Bänke zwischen den noch winterstarren Sträuchern setzten. Es war ein eintöniges Spiel, aber es schärfte seine Sinne und half ihm, sich die Zeit zu vertreiben.
    Der dicke Mann kam um drei Uhr - derselbe graue Mantel, derselbe Bowler, derselbe nervöse Gesichtsausdruck eines Biedermanns, der eine Verbrecherkarriere anstrebt. Der Diplomat schloß die Haustür auf und trat ein. Neumann überquerte den Platz und warf den Umschlag mit dem Film durch den Schlitz. Er hörte das vertraute Stöhnen des Dicken, als er sich bückte, um ihn aufzuheben.
    Neumann kehrte zu seinem Beobachtungsposten auf dem Platz zurück und wartete. Ein paar Minuten später erschien der Diplomat wieder, suchte sich ein Taxi und fuhr davon. Neumann wartete noch eine Weile, um sich zu vergewissern, daß das Taxi nicht verfolgt wurde.
    Neumann hatte noch zwei Stunden, bevor sein Zug ging. Er stand auf und schlenderte in Richtung Portman Square. Er kam an der Buchhandlung vorüber und sah das Mädchen durch das Schaufenster. Der Laden war leer. Sie saß hinter dem Ladentisch und las in dem Buch von Eliot, das sie ihm letzte Woche verkauft hatte. Anscheinend spürte sie, daß sie beobachtet wurde, denn plötzlich schaute sie auf, als habe sie etwas erschreckt. Dann erkannte sie ihn, lächelte und winkte ihn hinein. Neumann folgte der Aufforderung und trat ein, begleitet von dem Bimmeln des Glöckchens über der Tür. »Es ist Zeit für meine Pause«, sagte sie. »Gegenüber ist ein Café. Wollen Sie mir Gesellschaft leisten? Ich heiße übrigens Sarah.«
    Ich muß verrückt geworden sein, dachte Neumann und sagte:
    »Aber gern, Sarah.«
    Regen trommelte leise auf das Dach des Humber. Im Innern des Wagens war es so kalt, daß sie beim Sprechen ihren Atem sahen. Auf dem Grosvenor Square war es ungewöhnlich ruhig, und in der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen. Nach Vicarys Wahrnehmung, hätten sie genausogut vor dem Reichstag in Berlin stehen können. Ein amerikanisches Stabsfahrzeug mit verhüllten Scheinwerfern glitt langsam auf den Platz. Zwei Männer stiegen aus. Keiner von ihnen war Jordan. Gleich darauf tauchte ein Kradmelder aus der Dunkelheit auf und verschwand wieder. Vicary mußte unwillkürlich an Frankreich denken.

    Er schloß die Augen, verscheuchte die Bilder der Vergangenheit und sah statt dessen nun das Gesicht des Mannes in dem Fenster in Kensington vor sich. Wahrscheinlich nur ein neugieriger Nachbar, sagte er sich. Doch etwas störte ihn an der Art wie der Mann ein paar Schritte hinter der Scheibe gestanden hatte, und auch die Dunkelheit in dem Raum. Er vergegenwärtigte sich das

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