Double Cross. Falsches Spiel
stärksten befestigten Küstenabschnitt entscheiden? Oder würde ich eine andere Möglichkeit wählen, um den Feind zu überraschen? Würde ich fingierte Funksprüche absetzen und dem Feind durch Spione gefälschte Berichte zukommen lassen?
Würde ich irreführende Presseerklärungen herausgeben? Die Antwort auf alle diese Fragen lautet ja. Wir müssen mit einer List der Briten rechnen, ja, sogar mit einem größeren Landungsunternehmen, das lediglich ein Ablenkungsmanöver ist. Sosehr ich mir auch wünsche, daß sie bei Calais landen, so müssen wir doch auch mit einer Invasion in der Normandie oder in der Bretagne rechnen. Daher müssen unsere Panzer in sicherer Entfernung von der Küste bleiben, bis wir Klarheit über die Absichten des Feindes haben. Dann werden wir unsere Panzerkräfte auf den Hauptpunkt des Angriffs konzentrieren und sie ins Meer zurückjagen.«
»Da ist noch etwas anderes, das Ihr Argument stützen könnte«, sagte Feldmarschall Erwin Rommel.
Hitler wirbelte auf dem Absatz herum und sah ihn an.
»Nur zu, Herr Generalfeldmarschall.«
Rommel deutete auf die große Karte, die hinter Hitler an der Wand hing und vom Boden bis zur Decke reichte. »Wenn Sie erlauben, mein Führer.«
»Natürlich.«
Rommel faßte in seine Aktentasche, kramte einen großen Zirkel hervor und ging zur Karte. Im Dezember hatte ihm Hitler das Kommando über die Heeresgruppe B an der Kanalküste übertragen. Die Heeresgruppe B umfaßte unter anderem die in der Normandie stationierte 7. Armee und die zwischen der Seine-Mündung und der Zuidersee liegende 15. Armee.
Physisch und psychisch von seinen verheerenden Niederlagen in Nordafrika erholt, hatte sich der berühmte Wüstenfuchs mit unglaublicher Energie in seine neue Aufgabe gestürzt, raste in seinem Mercedes 230 Cabriolet unermüdlich an der Küste entlang, inspizierte die Befestigungsanlagen und verschaffte sich ein Bild vom Zustand der Truppe und ihrer Ausrüstung. Er hatte versprochen, die Küste in einen ›Teufelsgarten‹ zu verwandeln, in einen Gürtel aus Artilleriestellungen, Minenfeldern, Betonbunkern und Stacheldrahtverhauen, den der Feind niemals durchdringen würde. Insgeheim war er jedoch davon überzeugt, daß jeder von Menschen errichtete Wall von Menschen auch überwunden werden konnte.
Vor der Karte stehend, klappte Rommel den Zirkel auseinander. »Das ist die Reichweite der feindlichen Jagdflugzeuge vom Typ Spitfire und Mustang. Und das sind ihre wichtigsten Stützpunkte in Südengland.« Er setzte den einen Schenkel des Zirkels auf jeden Stützpunkt und zeichnete eine Reihe von Bögen auf die Karte. »Wie Sie sehen können, mein Führer, liegen Normandie und Bretagne in Reichweite der Jagdflugzeuge. Deshalb müssen wir beide Regionen als möglichen Schauplatz der Invasion in Betracht ziehen.«
Hitler nickte, beeindruckt von Rommels Demonstration.
»Versetzen Sie sich für einen Moment in die Lage des Feindes, Herr Generalfeldmarschall. Wenn Sie von England aus in Frankreich einfallen wollten, wo würden Sie angreifen?«
Rommel tat so, als denke er nach, dann sagte er: »Ich muß zugeben, mein Führer, daß alle Anzeichen auf eine Invasion in der Straße von Dover hindeuten. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß der Feind dort angreift, wo unsere stärksten Kräfte stehen. Außerdem bin ich durch die Erfahrungen in Afrika vorbelastet. Vor der Schlacht bei El-Alamain haben die Briten zu einer List gegriffen, und das werden sie auch vor der Invasion in Frankreich wieder tun.«
»Und was ist mit dem Westwall, Herr Generalfeldmarschall?
Wie kommt die Arbeit voran?«
»Wir haben noch viel zu tun«, antwortete Rommel. »Aber wir machen gute Fortschritte.«
»Wird er vor dem Frühling fertig?«
»Ja, aber mit Küstenbefestigungen allein können wir die Alliierten nicht aufhalten. Wir müssen unsere Panzer richtig in Stellung bringen. Und zu diesem Zweck, so furchte ich, müssen wir genau wissen, wo die Alliierten den Angriff planen. Davon hängt alles ab. Wenn die Alliierten auf dem Festland erst einmal Fuß gefaßt haben, dürfte der Krieg verloren sein.«
»Unsinn«, rief Himmler. »Unter dem Führer steht der Endsieg Deutschlands außer Frage. Die Alliierten werden niemals einen Fuß auf französischen Boden setzen.«
»Nein«, sagte Hitler. »Ich fürchte, Rommel hat recht. Wenn es den Alliierten gelingt, einen Brückenkopf zu errichten, ist der Krieg verloren. Aber wenn wir die Invasion zum Scheitern verurteilen, bevor sie
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