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Double Cross. Falsches Spiel

Double Cross. Falsches Spiel

Titel: Double Cross. Falsches Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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überquerte mißmutig den Platz. Am Fuß der Treppe stand ein stämmiger SS-Mann und streckte ihm die Hand entgegen, um ihm seine Waffe abzunehmen, sofern er eine bei sich trug.

    Canaris, der eine Abneigung gegen Schußwaffen hatte und Gewalt verabscheute, schüttelte nur den Kopf und schlüpfte an ihm vorbei.
    »Im November habe ich die Weisung Nr. 51 erlassen«, begann Hitler ohne Vorrede und durchmaß, die Hände auf dem Rücken verschränkt, mit energischen Schritten den Raum. Er trug einen taubengrauen Uniformrock, eine schwarze Hose und glänzende kniehohe Schaftstiefel. An seiner linken Brusttasche prangte das Eiserne Kreuz, das er sich als Infanterist eines bayrischen Freiwilligenregiments im Ersten Weltkrieg bei Ypern verdient hatte. »Die Weisung Nr. 51 verleiht meiner Überzeugung Ausdruck, daß die Angelsachsen spätestens im Frühjahr, vielleicht sogar früher, versuchen werden, in Nordwestfrankreich zu landen. In den vergangenen zwei Monaten habe ich keine Veranlassung gesehen, meine Meinung zu ändern.«
    Canaris beobachtete vom Konferenztisch aus, wie Hitler durch den Raum stapfte. Seine gebeugte Haltung, hervorgerufen durch eine Wirbelsäulenverkrümmung, war anscheinend schlimmer geworden. Canaris fragte sich, ob er endlich den Druck spürte. Er sollte es. Was hatte Friedrich der Große gesagt? Wer alles verteidigt, verteidigt nichts. Hitler hätte den Rat seines Vorbilds beherzigen sollen, denn Deutschland befand sich in derselben Lage wie im Ersten Weltkrieg: Es hatte weit größere Gebiete erobert, als es verteidigen konnte.
    Es war Hitlers eigene Schuld - dieser verdammte Narr!
    Canaris blickte auf die Karte. Die deutschen Truppen kämpften im Osten an einer zweitausend Kilometer langen Front. Jede Hoffnung auf einen militärischen Sieg über die Russen war im vorangegangenen Juli zerstoben, als die Rote Armee bei Kursk eine deutsche Offensive zurückschlug und der Wehrmacht schwere Verluste beibrachte. Und nun versuchte das Heer, eine Front zu halten, die von Leningrad bis zum Schwarzen Meer reichte. Am Mittelmeer verteidigte Deutschland dreitausend Kilometer Küste. Und im Westen - mein Gott! dachte Canaris - sechstausend Kilometer von den Niederlanden bis zum Südzipfel des Golfs von Biskaya. Hitlers Festung Europa war viel zu groß und hatte überall Schwachpunkte.
    Canaris ließ den Blick über die Männer schweifen, die mit ihm am Tisch saßen. Da war zunächst Feldmarschall Gerd von Rundstedt, Oberbefehlshaber West, dann Feldmarschall Erwin Rommel, Generalinspekteur des Atlantikwalls und Kommandeur der Heeresgruppe B in Nordwestfrankreich, und schließlich Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei. Ein halbes Dutzend von Himmlers treuesten und skrupellosesten Männern hatte im Zimmer Stellung bezogen und paßte auf, nur für den Fall, daß einer der Spitzenoffiziere des Dritten Reichs versuchen sollte, dem Führer ans Leben zu gehen.
    Hitler blieb stehen: »Weisung Nr. 51 bringt auch meine Überzeugung zum Ausdruck, daß wir die Truppenstärke im Westen nicht weiter verringern dürfen, um die gegen die Bolschewisten kämpfende Truppe zu unterstützen. Im Osten können wir, wenn kein anderer Ausweg bleibt, weite Gebiete preisgeben, bevor der Feind deutschen Heimatboden bedroht.
    Nicht so im Westen. Wenn den Angelsachsen die Landung gelingt, wird das verheerende Folgen haben. Aus diesem Grund wird hier, im Nordwesten Frankreichs, die entscheidende Schlacht dieses Krieges geschlagen.«
    Hitler machte eine Pause und ließ seine Worte wirken. »Wir werden uns der Invasion mit aller Macht entgegenstemmen und sie auf dem Wasser zurückschlagen. Wenn das nicht möglich ist und wenn es den Angelsachsen gelingt, vorübergehend einen Brückenkopf zu errichten, müssen wir darauf vorbereitet sein, rasch unsere Truppen zu verlegen, einen massiven Gegenangriff einzuleiten und die Eindringlinge ins Meer zurückzuwerfen.«
    Hitler verschränkte die Arme. »Aber zu diesem Zwecke müssen wir den Schlachtplan des Feindes kennen. Wir müssen wissen, wann er angreifen will. Und, was noch wichtiger ist, wo. Herr Generalfeldmarschall?«
    Feldmarschall Gerd von Rundstedt stand auf und trat, in der rechten Hand den Marschallstab, den er stets bei sich trug, schwerfällig vor die Karte. Rundstedt, als ›er letzte deutsche Ritter‹ bekannt, war von Adolf Hitler häufiger suspendiert und später wieder zurückgerufen worden, als Canaris und selbst sein eigener Stab sich erinnern konnten.

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