Down Under - Reise durch Australien
Joanna arbeiten würden, aber da hatten wir uns geirrt. Die zehn Kursteilnehmer wurden auf Nachbarfarmen verteilt. Das bestätigte uns in der Meinung, dass man hier günstige Arbeitskräfte mit einem Zertifikat lockt und sie Arbeit verrichten lässt, für die sie dann auch noch bezahlen müssen. Na, wie auch immer. Joanna jedenfalls schickte die anderen zu ihren Einsatzorten, und als wir schon dachten, sie hätte uns vergessen, kam sie zurück und lachte über das ganze Gesicht.
»Habt ihr Lust, mit mir über die Farm zu reiten? Reiten ist doch euer liebstes Hobby!«
Das hatten wir in der Bewerbung angegeben, aber jetzt waren wir doch überrascht über ihren Vorschlag. Auf einmal wirkte sie überhaupt nicht mehr streng, und als wir Ja sagten und auf den Pferden saßen, war sie in ihrem Element. Mit von der Partie waren ihr Sohn und Merryl, die auf der Farm arbeitete. Könnt ihr euch noch an »Is nich weit« erinnern? Wenn euch jemand fragt, ob ihr mit ihm über seine Farm reiten möchtet, dann solltet ihr sicherheitshalber fragen, wann man denn gedenke, zurück zu sein. Es kann nämlich einen Tag, eine Woche oder einen Monat dauern, über eine australische Farm zu reiten. Na, unser Kurs sollte ja am nächsten Tag beginnen, da würden wir wohl am Abend zurück sein. Und dann begann ein fantastischer Ritt über das Farmgelände, das schon bald nicht mehr nach von Menschen bewirtschaftetem Land aussah, sondern in Wildnis überging. Wir ritten durch Eukalyptuswälder und rochen das typische Hustenbonbonaroma. Auf einmal hob Joanna den Arm und zeigte nach oben. Und da waren sie. Unsere ersten Koalas! Gina und ich starrten hinauf und konnten es nicht glauben. Wie oft hatten wir gehört, dass es verdammt schwer sei, Koalas in freier Wildbahn überhaupt zu finden und dass die meisten Touristen sie nur im Zoo oder in Parks zu Gesicht bekommen. Und wir waren nur ein Stück geritten, da tummelten sich gleich mehrere von den süßen Bären in den Wipfeln und guckten mit ihren Knopfaugen nach unten.
Joanna drehte sich zu uns um und lächelte.
»Das sind unsere«, sagte sie stolz. »Natürlich gehören sie uns nicht, aber sie leben auf unserer Farm. Ist es nicht schön, dass sie da sind?«, fragte sie und bekam glänzende Augen. »Wir passen höllisch auf den Wald auf. Er ist nicht sehr groß, und wenn er abbrennt …«
Minutenlang standen wir mit den Köpfen in den Nacken gelegt da und beobachteten die Tiere. Koalas lösen in uns Menschen Beschützerinstinkte aus, weil sie knuddelig sind und ein wenig an Teddys erinnern. Aber auch sie sind wilde Tiere, und so mancher hat schon einen Finger eingebüßt, weil er den niedlichen Bärchen zu sehr auf die Pelle gerückt ist. Doch in diesem Moment im Wald von Joannas Farm wäre ich glatt einverstanden gewesen, ab sofort nur noch mit neun Fingern zu leben.
Irgendwann rissen wir uns los und ritten langsam weiter, bis wir an eine Lichtung gelangten, die mit sattgrünem Gras bewachsen war. Schon wartete die nächste Überraschung auf uns.
»Hey«, rief Joanna leise über ihre Schulter zurück. »Seht ihr die kleinen Hopper da drüben?«
Gina und ich zügelten unsere Pferde ein wenig zu ungestüm, sodass sie laut schnaubten, aber das schien die Besucher der Lichtung nicht im Geringsten zu stören. Wallabies! Eine ganze Familie der süßen kleinen Kängurus schaute neugierig in unsere Richtung, als wir aus dem Wald kamen. Nur für einen kurzen Moment hörten sie auf mit Kauen, dann beachteten sie uns gar nicht weiter. Mich überkam ein unglaubliches Glücksgefühl. Wir waren erst so kurze Zeit in Australien, und es schien, als gäbe es all die Dinge, von denen wir immer geträumt hatten, nur für uns alleine. Ich saß auf meinem Pferd und die Zeit schien stillzustehen. Heute brauche ich nur die Augen zu schließen, und schon erscheint das Bild der Lichtung vor meinem inneren Auge mit all seinen Farben, dem Licht und den Tieren. Doch Joanna ließ uns nicht viel Zeit, dieses Bild zu genießen.
»In zwei Stunden wird es dunkel«, flüsterte sie uns zu. »Wie sieht’s aus? Wie gut könnt ihr reiten?«
Ich wechselte einen Blick mit Gina. Ihre Augen blitzten. Wir brauchen uns manchmal nur anzusehen, und schon weiß die eine, was die andere denkt.
»Gut genug«, sagte ich cool. Hätte ich gewusst, was dann folgte, hätte ich vielleicht doch etwas anderes gesagt. Na klar konnten wir reiten, aber eigentlich waren wir nur im deutschen Heimatland geradeaus geritten, wenn auch manchmal in
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