Down Under - Reise durch Australien
wildem Galopp.
»Okay«, grinste Joanna. »Dann wollen wir mal das Vieh eintreiben.«
Vieh eintreiben? Was für Vieh? Aber ehe ich die Frage richtig zu Ende denken konnte, ging es schon los. Joanna gab ihrem Pferd die Sporen, und wir ritten aus dem Wald hinaus in offenes Gelände, das an die Farmgebäude angrenzte. Da standen sie. Cattle! Rindviecher! Eine kleine Herde von vielleicht vierzig, fünfzig Tieren graste über die Wiesen verteilt vor sich hin. Ich muss zugeben, ich bekam ein flaues Gefühl im Magen, denn die Tierchen waren ein wenig größer, als ich mir das gewünscht hätte. Und Hörner hatten sie auch. Große Hörner. Uns blieb keine Zeit zu kneifen, denn Joannas Sohn gab sofort knappe Anweisungen.
»Wir kreisen die Herde so ein, dass ihnen nur der Weg bis zur Farm bleibt. Joanna und ich gehen an die Spitze, Merryl und Gina rechts und links dahinter, und Sandy, du bleibst hinten. Das Wichtigste ist, das letzte Rind im Auge zu behalten. Es darf nicht ausbrechen. Bleib immer hinter ihm, und wenn es ausbricht, geh an die Seite und treib es zurück. Meinst du, du schaffst das?«
»Yepp«, meinte ich und biss mir auf die Zunge.
»Aha«, grinste Merryl. »Warst wohl schon in Amerika auf dem großen Treck, hm?«
»In Arizona«, antwortete ich lahm. Das stimmte zwar, denn von Arizona aus war ich mal auf einer Farm in Mexiko gewesen und dort auch ausgeritten. Aber da war ich vom Pferd gefallen. Und dann noch der schöne Salto beim Ausritt mit Sam. Nur, man muss ja nicht alles erzählen, oder?
»Okay!«, rief Joanna. »Und immer schön laut! Sonst kriegen wir das faule Viehzeug nicht in die Gänge!«
Und ehe ich noch einen Einwand machen konnte, preschten Joanna und die anderen los. Ausgerechnet ich musste das letzte Rind im Auge behalten. Doch dann war es egal. Ich stieß die Fersen in die Flanken meines Pferdes und galoppierte los. Wir merkten, dass die Viecher nicht die geringste Lust hatten, ihr gemütliches Abendbrot zu beenden. Doch als Joanna losbrüllte, verstand ich, was sie mit laut gemeint hatte.
»Hey, hey, hey!«, brüllte sie, und ehe ich über den Text nachdenken konnte, fiel ich in das Brüllen ein und ritt hinterher. Im letzten Moment fiel mir ein, dass ich ja das letzte Rind im Auge behalten musste und verlangsamte meinen Ritt entsprechend. Es dauerte nicht lange, und die eben noch weit verstreute Herde war zu einem Pulk zusammengetrieben und strebte mit donnernden Hufen das leicht abschüssige Gelände hinab. Das mit dem letzten Rind war gar nicht so einfach, denn warum auch immer scherte das Tier mal nach rechts oder nach links aus. Ich vergaß meine fehlende Reiterfahrung, korrigierte blitzschnell den Lauf meines Pferdes und glich seine Geschwindigkeit der der Rinder an. Die Pferde auf einer Farm sind völlig anders zu führen als die üblichen Reittiere. Schon der geringste Druck am Zügel reicht aus, daher kann man sie locker mit einer Hand reiten. Die andere braucht man ja vielleicht für das Lasso. Oder um sich eine Zigarette zu drehen, wenn man Lucky Luke heißt. Ein Lasso brauchte ich hier nicht, und rauchen tue ich auch nicht. Wenn man das mit dem leicht Führen nicht gewohnt ist, fliegt man ruck, zuck, vom Gaul. Aber wir waren ja schon ein paar Stunden geritten und hatten das Gefühl für die Reaktionen der Pferde bekommen. Ich schaffte es tatsächlich, nicht zu weit hinter der Herde zurückzufallen und auch, nicht am letzten Tier vorbeizureiten. Adrenalin schoss durch meinen Körper. Laut »Hey! Hey!« schreiend jagte ich der Herde hinterher und fühlte mich wie Sandy Wayne.
Dann schoss der Coral auf uns zu. Als wir nahe genug heran waren, ging es wie von selbst, denn der Durchlass für die Rinder war wie ein großer Trichter ins Gelände hineingebaut, sodass die Tiere gar keine andere Chance hatten, als hineinzulaufen. Als mein Rind als letztes die Öffnung im Gatter passierte, erfasste mich ein Triumphgefühl, und ich musste einfach ein lautes »Yippieehhh!« hinausbrüllen.
Joanna sprang vom Pferd und schloss mit raschen und sicher unzählige Male geübten Bewegungen das Gatter. Dann drehte sie sich zu uns um, hob den Daumen und sagte: »Good job, girls!«
Als wir am Abend gemütlich zusammensaßen und den Tag ausklingen ließen, wurde mir erst so richtig bewusst, dass wir an diesem Tag so viel erlebt hatten wie manch andere Reisende in diesem Land während ihres gesamten Aufenthaltes nicht. Ich schloss innerlich einen Deal mit mir selbst. Wenn auch noch so viele üble
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