Down
einiges der in ihren Muskeln gespeicherten Erfahrung zurückgekehrt. Je weiter sie kletterte, desto leichter fiel ihr der Aufstieg. Bald bahnte sie sich eine spiralförmige Route um den massiven Kiefernstamm, höher und höher, während der Waldboden unter ihr zusammenschrumpfte.
»Mittagessen!«, rief Potter durch das Loch im Flugzeugrumpf.
Kevin hob den Kopf nur kurz. Er sank sofort zurück auf das Kissen, das Potter für ihn aufgetrieben hatte. »Wir haben das Frühstück ausgelassen.«
Das hörte sich nicht richtig an. Potter warf einen ungläubigen Blick auf die Uhr, als er registrierte, dass es bereits elf Uhr durch war. Die Stunden waren wie im Flug vergangen und er wusste nicht recht, ob sein Kopf ihm aufgrund des Schlags, den er abbekommen hatte, Streiche spielte oder er so viel über Termine und Entscheidungen nachgrübelte, dass er sich nicht länger auf sein Zeitgefühl verlassen konnte. Verdammt, er baute ab. Er musste sich zusammenreißen, wenn sie überleben wollten.
»Verflixt. Tut mir echt leid. Warum habt ihr nichts gesagt?«
Kevin zuckte die Achseln, ohne aufzublicken. »Ich hatte ohnehin kaum Hunger.«
»Willst du jetzt was essen?«
Jens Hand zuckte in die Höhe. »Her damit! Ich töte für einen Keks.«
»Ich glaube, dazu muss es nicht kommen.« Er lehnte seinen improvisierten Speer an die Kabinenwand. In der Armbeuge hielt er ein paar Flaschen Wasser, Müsliriegel und einige Tüten Salzstangen. Er war auch auf Sandwiches gestoßen, traute ihnen aber nicht, weil die Kühlung ausgefallen war. »Ich wünschte, ich hätte mehr auftreiben können.«
»Ich wünschte, du hättest Alk gefunden.«
»Hab ich sogar, aber nur ein paar Portionsfläschchen.«
Jens Hand schnappte gierig auf und zu. »Mir egal. Gib mir ’nen Shot und ich reib dir zur Belohnung die Familienjuwelen.«
»Nicht nötig«, erwiderte er. Er fischte einige Fläschchen aus der Tasche und gab Jen eines davon, bevor er Kevin ebenfalls eines anbot. Danis Mann winkte ab, also versorgte er Jen mit Nachschub. »Wie geht’s euch beiden eigentlich?«
Jen kippte einen Schluck Bourbon und schleuderte die leere Flasche durch die Kabine. »Es brennt nicht mehr wie Feuer, aber es tut immer noch weh. So eine Art dumpfes Pochen.«
»Gut. Kannst du mit den Zehen wackeln und so?«
»Na klar.« Sie bewegte einen Fuß, um es zu demonstrieren. Dann bog sie grinsend einen Zeh nach dem anderen nach oben.
»Wie sieht es bei dir aus, Kev?«
Er starrte weiter an die Kabinendecke. »Immer noch gelähmt.«
Eine Hitzewelle schoss durch Potter und ließ ihn zusammenzucken. »Du solltest versuchen, was zu essen.«
»Ich brauch nichts. Mach dir keine Sorgen um mich.«
»Kannst du ihn dazu bringen, dass er Vernunft annimmt, Jen?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich versuch’s. Aber ich kann nichts versprechen.«
Er nickte und drückte Jen Kevins Anteil in die Hand. »Verputz nur nicht alles allein.«
»Warum, damit ich mir die Figur nicht versaue?«
»Warum ist dieses Monster eigentlich nicht längst zurückgekommen?« Kevins Stimme klang hohl.
Potter blickte sich hektisch um, als ob Kevins Frage ihn zum ersten Mal seit Langem wieder an ihren Gegner erinnerte. Der an der Wand lehnende Speer übermittelte allerdings eine andere Botschaft. Kevin hatte recht. Ihm war es ebenfalls ein Rätsel, warum sich der Leichenfledderer nicht längst wieder blicken ließ.
»Hoffentlich kommt er gar nicht zurück. Ich habe meine Ohren und Augen offen gehalten, aber er scheint momentan von der Bildfläche abgetaucht zu sein.«
»Vielleicht hat er Angst vor uns«, sagte Jen. »Oder er ist nachtaktiv?«
Kevin entfuhr ein zorniges Lachen. »Oder er wartet mit seinem nächsten Besuch, bis er Hunger hat.«
»Keiner von uns weiß das so genau«, meinte Potter. »Im Moment können wir nichts weiter tun, als auf alles vorbereitet zu sein. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass wir als nächste Botschaft von draußen das Rotieren von Helikopterblättern hören.«
Kevin hob eine Hand und kreuzte die Finger. »Amen.«
Potter dachte über eine passende Erwiderung nach, während Jen ein paar Salzstangen in den Mund schob, darauf herumkaute und schluckte. Sich einfach umzudrehen und zu verschwinden, kam ihm nicht wie die beste Lösung vor, aber er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Normalerweise hatte er alles im Griff, doch nun sah er sich zum ersten Mal in seinem Leben mit dem Gefühl konfrontiert, nicht weiterzuwissen. Es war ihm nicht vertraut und er stellte
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