Downtown Blues
muss. Doch wenn ich eins nicht drauf hab, dann dieses therapeutische »Ach ja?«, das die Kopfdoktoren der Internen so gut können. Also sage ich nur: »Vielleicht wird das Capistrano-Kartell durch interne Machtstreitigkeiten geschwächt und die DCU kann es zerschlagen.«
»Warum denn das?« Er ist total verblüfft. »Die Capistranos sind eine feste Macht in der Downtown, niemand will sie zerschlagen.«
»Ja, aber, die DCU …« Ich stottere und plappere. »Wollen nicht alle … der Kampf gegen die Drogen … der Bürgermeister …«
»Was glauben Sie, wer den letzten Wahlkampf von Warring bezahlt hat, CF-Agent Donovan?«
»Aber der Kampf gegen die Drogen«, wiederhole ich blöde.
»Alibi«, sagt er knapp.
»Ein Alibi für wen? Den Bürgermeister?«
»Für ihn, seine Vorgänger und alle, die mitmachen, auch für mich. Alles nur, damit die lieben Wähler nicht anfangen, darüber nachzudenken, was in der Downtown wirklich stinkt.« Er spricht immer schneller, wird laut. »Wir kämpfen in einem Krieg, der schon im letzten Jahrhundert verloren wurde und der nur weitergeführt wird, um den Schein zu wahren. Playa Silva ist unser My Lai, trotzdem machen wir immer weiter. Wussten Sie, dass allein im vergangenen Jahr bei Razzien und anderen Aktivitäten der DCU ›aus Versehen‹ über fünftausend Bürger getötet wurden?«
»Aber warum stoppt sie denn keiner? Das ist doch Wahnsinn.«
»Eben weil es Wahnsinn ist und weil es schon immer so war. Funktioniert doch gut. Das sind die Regeln der Politik, CF-Agent, um nichts weiter geht es hier.«
»Wirklich, um nichts weiter?« Ist es das, was Brubaker bei seinem Undercover-Job rausgefunden hat? Nein, da muss noch mehr hinter stecken.
»Ohne die Kartelle wäre die Downtown schon längst total außer Kontrolle«, wirft er mir noch einen Brocken hin.
Und mir wird plötzlich klar, wie das hier laufen soll. Er wird mir keine Informationen mehr geben, es sei denn, ich frage ihn. Doch wie lautet die richtige Frage? Verdammt. »Warum?«
»Haben Sie sich jemals gefragt, warum die Grundnahrungsmittel der Stadt von einer Firma geliefert werden, die Happy-Food heißt?« Das ist eine rhetorische Frage. Er strafft sich und überprüft sein Aussehen in den verspiegelten Scheiben – genug Geständnisse. »Jetzt kennen Sie alle dunklen Geheimnisse der Stadt, Donovan.« DA Brannigan lächelt flach. »Setzen Sie mich bitte da unten ab. Ich muss mit dem DCU-Beobachter reden – Politik.« Das letzte Wort spuckt er aus. Noch jemand, der ans Aussteigen denkt? Ich sehe Brannigan nach, wie er in der Menge verschwindet. Newsdrohnen setzen zum Sturzflug auf ihn an. Der Bezirksstaatsanwalt im Gespräch mit dem Beobachter der DCU. Ein Statement für die News? Sogar Koxiala Brent ist vor Ort. Brannigan sagt etwas zu ihr, sie lacht geschmeichelt. Er ist der Star – wieder mal. Nein, der DA denkt nicht ans Aussteigen, er denkt an die nächsten Wahlen. Vergessen sind Reue und Schuldgefühle. Politiker-Regeln, CF-Agent.
Aber was wird aus mir? Werde ich eines Tages verschwinden, geschluckt von der mörderischen Stadt? Und auf einmal geht mir der Happy-Food-Song durch den Kopf: »Happy-Food für Happy-Menschen«. Scheiße.
They told me don’t go walking slow
The devil’s on the loose
Better run thru the Jungle …
Don’t look back.
– CCR
Die Sonne scheint mir ins Gesicht und ich wache auf. Jedes Mal die gleiche Desorientierung. Ein weiter Raum mit Tageslicht, das durch eine hohe Glasdecke fällt – mein neues Zuhause. Ich tappe unter die Dusche, drehe das Wasser auf – ein weiterer Augenblick kurzer Verblüffung, hier gibt es keine Rationierung – und lasse mich von dem Strahl wach massieren. Was für ein Luxus.
Chan ist schon auf. Hockt auf dem Boden vor dem alten Apple/Kenzo und pirscht durch fremde Datenbanken. Kein »Guten Morgen, Partner«, nur ein mürrischer Blick und: »Wann wirst du endlich ein paar Möbel kaufen?«
Jedes Mal der gleiche Vorwurf. Jedes Mal die gleiche Antwort: »Mir gefällt’s so.« Ich sehe ihm über die Schulter. »Schon was gefunden?«
»Die Liste der Desert-Racer-Besitzer habe ich auf dein SCom überspielt«, sagt er lässig. »Und was die unbekannte Frau, die Santero gekillt hat, betrifft, da bin ich gerade dran.«
Effektiv, präzise und supercool, so ist er, mein Partner. Und das, kaum dass er die Augen auf hat, wirklich zum Kotzen. Ich lasse den Tag lieber etwas ruhiger angehen, schlürfe meinen Moccaccino und lasse meine Blicke durch meine
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