Downtown Blues
gebündelten Lichtstrahl durch die Nacht zucken.
Ein spöttisches Lachen. Ich fahre herum. Sie steht direkt hinter mir. Ihre Augen glühen im Dunkeln, Raubtieraugen auf Beutefang. Sie trägt keine Atemmaske, sondern diese teuren Nasenstöpsel. Sie sieht verändert aus, und es ist nicht nur die fehlende Uniform. Sie ist magerer, härter, und um ihre Augen haben sich neue Falten gebildet.
»Wie hoch war der Preis, Del?«
»Hoch genug – dachte ich.« Ein schwer definierbarer Ausdruck huscht über ihr Gesicht. Ist das etwa Bedauern? »Du wolltest mich sprechen? Hier bin ich. Sag, was du zu sagen hast.«
Doch auf einmal sind all die Fragen aus meinem Kopf gelöscht. Geblieben ist nur die Wut und die Trauer über ihren Verrat. »Warum?«, ist alles, was ich sagen kann.
»Warum?« Sie lacht wieder, zynisch. »Das fragst du? Du hast dir die Frage doch selbst beantwortet. Mehr Kredit, ein besseres Leben, der ganze verdammte kleine Downtowntraum, den du auch träumst.«
»Du lügst«, behaupte ich.
»Und wenn schon.« Gleichmütig zuckt sie die Schultern. »War’s das? Nur ein ›warum‹? Dafür bin ich hergekommen? Du hast immer noch keinen Schneid, Donovan. Alles, was du hast, ist deine gottverdammte Selbstgerechtigkeit.« Den letzten Satz schleudert sie mir entgegen.
»Warum, Del?«, wiederhole ich stur.
Sie dreht sich wortlos um und wendet sich zum Gehen.
Plötzlich weiß ich, wie ich sie knacken kann. »Du bist neidisch, neidisch auf das, was ich habe.« Wieder eine Behauptung, doch ich weiß, dass sie stimmt. »Du hast dich verkauft und jetzt willst du zurück, aber es ist zu spät.«
Sie ist stehen geblieben. »Du bist verrückt. Wer will freiwillig zurück in den Dreck?«
»Nicht in den Dreck. Du warst die Beste, Del. Ich habe dir mein Leben anvertraut.« Jetzt schreie ich sie an. Ich spüre, wie mich all die angestauten Gefühle überwältigen wollen – die Angst zu versagen, die Angst, verlassen zu werden – das darf ich nicht zulassen, dann bin ich verloren.
Sie sieht mich scharf an. »Und jetzt bin ich dir was schuldig. Ist es das?«
»Wofür hast du dein altes Leben wirklich aufgeben?«, frage ich erneut, nur um überhaupt etwas zu sagen, doch dann bricht es aus mir heraus: »Du warst mein Vorbild und dabei bist du genauso korrupt und verdorben wie die ganze verdammte Stadt!«
Sie kommt langsam auf mich zu, die Augen schmal vor Wut. Wird sie mich schlagen? »Was weißt du von meinem Leben?« Sie versetzt mir einen Stoß vor die Brust. Ich stolpere rückwärts und knalle hart auf die Palette. »Was weißt du denn schon, du Straßenratte?«
Ihre Schläge prasseln auf mich ein. Ich wehre mich nicht und schweige verbissen. Vielleicht verdiene ich es, bestraft zu werden. Bestraft für meine Dummheit. Was weiß ich schon vom Leben? Das Gleiche hat mich Brubaker auch gefragt.
Plötzlich hört sie auf. »Du willst es wirklich wissen?« Sie keucht von der Anstrengung. Das neue Leben hat sie ihre Form gekostet. »Ich hab die C-Force verlassen, um den scheiß Babysitter für einen Psychopathen zu spielen.«
Ich starre sie an. Was zur Hölle meint sie damit? Doch sie hat nicht die Absicht, irgendwas zu erklären. Sie will, dass ich von selbst dahinter komme. Etwas hat sich zwischen uns verändert in den letzten Minuten. Ich bin nicht mehr die kleine, unerfahrene Anfängerin. Sie redet mit mir wie mit einer Gleichgestellten.
»Du hattest Recht«, sagt sie schließlich. »Ich beneide dich. Aber nicht wegen dem, was dir wichtig sind. Ich beneide dich für deine Unschuld.« Sie setzt sich neben mich auf die Palette. »Damals, in der Nacht, als ich ins Coco Loco ging, da war ich dicht dran, den Stardust-Fall zu knacken.«
»Du hast W.J. Warring und Aranxa Capistrano getroffen.«
Sie sieht mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Hochachtung an und sagt dann: »Ich hatte Recht, du bist weit gekommen.«
»Und jetzt renne ich schon wieder gegen Wände«, sage ich bitter. Und mir wird auf einmal das Seltsame der Situation bewusst: Wir sitzen hier und reden, als wäre nie etwas gewesen. Vielleicht gibt es doch ein Zurück. Der Gedanke gibt mir Hoffnung.
Sie scheint ähnlich zu fühlen, denn sie sagt mit einem Grinsen: »Und davon lässt du dich abhalten? Das hab ich dir nicht beigebracht.«
»Nein, das hast du nicht.« Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Ich fürchte mich, ihn laut auszusprechen, tu es dennoch: »Dieser Babysitterjob, ist das W.J. Warring?«
»Wusste, du würdest von allein drauf kommen.«
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