Downtown Blues
drücke meine Hände auf die Wunde, will es aufhalten, in ihren Körper zurückzwingen. Was für ein armseliger Versuch.
»Heartbreak Hotel.« Ihre Stimme ist angestrengt und kaum zu hören. Ich beuge mich zu ihrem Mund. »Du musst sie aufhalten, hörst du? Versprich mir, du hältst sie auf, Partner.«
»Ich muss dich hier wegbringen, zu einem Arzt.« Ich fühle mich so unzulänglich, so hilflos.
»Vergiss den Arzt.« Ein heiseres Flüstern. »Versprich’s mir …«
»Ja, ja ich versprech’s«, sage ich und schlucke meine Tränen runter. Sogar jetzt noch schafft sie es, mir ihren Willen aufzuzwingen. »Kann ich denn gar nichts für dich tun?«
»Doch, bring ihn um«, keucht sie. »Verdammt, geh, bevor er zurückkommt. Verpiss dich endlich, Donovan!«
Und ich gehe. Alles, was ich noch tun kann, ist ihr die Waffe in die Hände zu drücken.
Ich hetze durch die Nacht und sehe mich nicht um. Bin ich Jäger oder Beute? »Die Nacht hat viele Augen.« Ausgerechnet die letzte Warnung meiner Partnerin habe ich ignoriert. Und jetzt liegt sie dort draußen und verblutet. Ich hetze durch die Nacht, doch Schuld und Trauer zerren an mir, machen meine Schritte schwer und den Boden unter mir zäh.
Der Morgen graut, als ich in den Saab-Aerospace springe und durchstarte. Ich will keinen Tag, keine Helligkeit. Ich fliege in die Downtown, dorthin, wo noch Nacht ist. Vielleicht kann ich so die Zeit zurückdrehen.
Heartbreak Hotel
All of those harsh toughts so unkind
’Cause I wanted you …
So here sits a fucking mess
Tears fly home
– Skunk Anansie
»Wo hast du gesteckt?« Chans beleidigte Stimme reißt mich in die Realität. »Ich versuch dich seit Stunden zu erreichen. Ich habe Winona Warring gefunden. Sie ist in Downtown, in einem Hotel.«
»Was?!«
»Ich habe Winona …«
» Wo ist sie?«
»Im Heartbreak Hotel. Das ist an der Grenze zum Barrio, Sechste und Sepulveda.«
»Ich weiß, wo das ist.« Zwei Blocks von der Avenida Daniel Ortega, wie könnte ich das vergessen. »Ich werde mit ihr reden.«
»Du willst nicht auf mich warten?« Er klingt gekränkt. Denkt, ich will ihn ausschließen.
»Bin gerade in der Gegend.« Das ist gelogen. »Tut mir Leid, Chan, nächstes Mal.« Als ich die Verbindung beende, wird mir bewusst, dass ich ihn nicht »Partner« genannt habe.
Vier Blocks vom Zielort stelle ich den Saab-Aerospace in einer Landebucht der DWNTN-Metropolice ab und gehe zu Fuß weiter. Als ich in die Sepulveda einbiege, jagt ein City Jet auf der unteren Ebene über mich hinweg. Der Druck wirft mich zu Boden. Ich will dem Fahrer einen Fluch hinterherbrüllen, als ich die Marke erkenne – es ist ein Kawasaki Desert Racer. Reflexartig taste ich nach meiner H&K Special und renne los. Erst als das flackernde Neonzeichen für »Zimmer frei« im diffusen DWNTN-Licht vor mir auftaucht, werde ich langsamer und sondiere vorsichtig die Umgebung.
Das Heartbreak Hotel ist ein zehnstöckiger Betonklotz, eingepfercht zwischen Wolkenkratzern der zweiten Generation und Nutzbauten der Stadtverwaltung. Der Desert Racer steht quer vor dem Eingang. Den Weg werde ich also nicht nehmen. Zwischen dem Hotel und dem Nutzbau ist eine schmale Gasse. Ich lege den Kopf in den Nacken, sehe an der dunklen Fassade hoch und versuche die Entfernung des Daches zu den Nebengebäuden abzuschätzen. Da sehe ich die Feuerleiter. Als ich hochspringe, um nach der untersten Sprosse zu greifen, fällt ein Lichtschein in die Gasse – der Happy-Food-Blimp schwebt über der Straße und wird vom Dach eines Fahrzeugs reflektiert. Es ist ein metallic-schwarzer Titan 3001/sport. Auf den verspiegelten Scheiben, neben dem »Bullet proof«-Emblem, erkenne ich die Initialen CC. Concepción Capistrano? Aranxa und W.J., Aranxa und Brubaker. Während ich die weiten Sprossen hochklimme, gehen mir immer die gleichen Worte durch den Kopf. »Gibt wohl keinen in der City, der sich so verändert hat wie W.J., hat sich wegverändert.« Wer hat das noch gesagt? »Eine zornige Lady«, kommt die Antwort aus den verschwommenen Tiefen meiner Erinnerung. Und als ich weiter hochkletter, begrabe ich die Trauer um Del in dem gleichen schwarzen Kästchen tief in mir, in dem schon die Trauer um meine Eltern und meine verlorene Kindheit begraben ist. Es lindert den Schmerz nicht, doch es macht ihn leichter zu ertragen.
Zwei Stockwerke über mir blitzt ein Lichtschein hinter den trüben Fenstern auf. Dort oben ist jemand. Leise ziehe ich mich an den rostenden Streben hoch,
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