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Downtown Blues

Downtown Blues

Titel: Downtown Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Myra Cakan
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Bezirk zu DelMonicos Apartment. Die Fahrt ist lang, die Klimaanlage unzureichend, und ich döse im Stehen ein. Erst als mich ein fetter Mann in der ockerbraunen Uniform der Stadtverwaltung aus dem Weg schubst, um sich auf einen freien Platz zu drängen, werde ich wieder munter. Ich zeige ihm nur kurz mein Abzeichen, und er geht, mürrisch Entschuldigungen murmelnd, auf Abstand. Noch vor wenigen Monaten hätte er mich nicht mal wahrgenommen, doch jetzt bin ich wer. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.
    Jetzt sitze ich auf dem Platz und starre auf mein Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelt. Hier unten auf der Straßenebene ist es bereits dunkel. In der Downtown sind die Tage kurz. Vielleicht hätte ich Morales von meinen Problemen mit den Hornissen erzählen sollen. Nein, besser nicht. Sie soll nicht denken, dass ich die Situation nicht im Griff habe. Ha, als ob ich das jemals hätte.
    Der Pendler hält an der Kapelle »Zum blutenden Herzen Leos«. Ich ziehe meinem Spiegelbild eine Fratze, stehe auf und lasse mich von einer Gruppe Schulkinder in Konzernuniformen nach draußen drängen.
    Ich sehe ihnen neidisch nach, wie sie lachend in den Eingängen der Familienunterkünfte verschwinden. Sie werden erwartet und sie werden sicher geliebt. Ich lasse mich von der Menge weiter die Straße runtertreiben, kaufe mir in einer Garküche mein Abendessen – oder ist es mein Mittagessen? –, kaue mechanisch, ohne zu schmecken, was ich esse. Ich könnte immer so weitergehen: kauen, schlucken und an nichts denken.
    Auf einmal stehe ich vor DelMonicos Apartment. Das Sicherheitssiegel ist aktiviert, diesmal brauche ich keinen DWNTN-Cop, um es auszuschalten, ich habe vorausgeplant. Ich gebe meinen persönlichen Zugangskode ein, und mit einem leisen Klicken schwingt die Tür auf.
    Jemand war in der Zwischenzeit hier. Ich kann nicht festmachen, woran ich es erkenne, aber ich bin mir sicher. Ich ziehe wieder Schübe auf, sehe in den Spind, alles scheint unverändert und doch ist etwas anders. Die Luft ist anders, nicht mehr so abgestanden. Und noch etwas ist anders: ein Duft, Parfüm, süß und schwer, hängt noch im Raum. Was hat sie hier gewollt? Hat Del sie geschickt? Und noch wichtiger: Hat sie gemerkt, dass ich vor einigen Wochen hier war?
    Ich fühle mich wie ein Eindringling. Ich habe kein Recht, hier zu sein. Nein, das stimmt nicht! Ich habe jedes Recht, sie schuldet mir was. Del ist clever, sage ich mir, sie wird wissen, dass ich hier war, und hätte sie mir den Zugang versperren wollen, hätte sie nur das Sicherheitssiegel umprogrammieren müssen.
    Dels Bett ist viel zu bequem. Ich bin müde, nein, richtig fertig, aber ich habe noch Arbeit vor mir. Ich schiebe als Erstes den Rom-Chip ins Lesegerät. Doch meine Gedanken gehen auf die Wanderschaft, und plötzlich muss ich an Bru denken und frage mich, wie es ihm wohl geht, da draußen in New Frontier. Vielleicht sollte ich Kontakt zu ihm aufnehmen. Ich arbeite an einem Fall, in dem SpaceCraft wahrscheinlich mit drinsteckt. Er kann mir sicher Infos geben, womöglich kann er mich sogar inoffiziell in die Firma einschleusen. Fast bin ich schon aus dem Bett, um in Dels Spind nach passender Kleidung zu suchen. Wie dumm von mir. Konzentrier dich, du hast Arbeit.
    Ob er auch manchmal an mich denkt? Sei nicht dumm, Donovan, du und dieser Stephen Brubaker, was kann daraus schon werden. Und mit dem Gedanken muss ich eingeschlafen sein.

Chan’s Antiques

    Im vergangene Quartal betrug der Umsatz von SpaceCraft dreiundzwanzig Prozent des Bruttosozialprodukts einer Großstadt.

    – Auszug aus dem vierteljährlichen
Aktionärsbericht

    Drei Tage später: Ich hocke immer noch in Dels Apartment, warte auf Nachricht von Chan. Mein verdammter Spürhund meldet sich nicht, ist auch nicht zu erreichen. Anders als Morales – sie meldet sich fast stündlich über SCom, will wissen, wie ich in dem Potter-Fall vorankomme, will, dass ich mich in der Zentrale melde. Was soll ich ihr sagen? »Überhaupt nicht, ich sitze mir nur den Hintern breit und versuche einen kodierten ROM-Chip zu knacken und Seitenweise Gekrakel eines alten Mannes zu entziffern.« Denn genau das tue ich. Oder soll ich ihr vielleicht Folgendes sagen: »Ich trau mich nicht raus, weil mich ein paar durchgeknallte Hornissen von der Straße putzen wollen.« Klar, mach ich, da ich nichts lieber will, als mich mit den Internen abzurappen. Doch da steckt noch mehr dahinter. Morales weiß was, und ich? Ich weiß mal wieder nichts.

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