Downtown Blues
nein, hier stimmt was nicht!
»Woher weißt du, dass ich an so einem Fall gearbeitet habe?« Plötzlich ist es wieder da: das Misstrauen gegen Chan, gegen die ganze Welt.
»Elementar, Watson«, grinst er nur.
Da habe ich ihn auch schon gepackt und drücke ihn gegen die Wand. »Verarsch mich nicht, verdammt«, brüll ich ihn an. »Woher weißt du das mit W.J.?«
›Waren Sie schon immer so aggressiv?‹, sagt Lowell Brannigan in meinem rechten Ohr. Abrupt lasse ich Chan los. Weiß nicht, was schlimmer ist, meine Paranoia oder die Stimme. Mir zittern die Hände, Chans Bude löst sich in einzelne Pixel auf und wird dann von einem grauen Schleier ausgelöscht.
»Alles okay, ganz ruhig, Donovan. Hier, trink das.«
Jemand drückt meine Finger um etwas Kühles, Rundes. ›Eine Dose Bier, das kenne ich‹, denke ich, und: ›Chan hat einen Kühlschrank, und er funktioniert sogar.‹ Ich halte mich an Banalitäten fest. Mechanisch reiß ich den Verschluss ab.
»Weißt du, ich habe einfach nur eins und eins zusammengezählt …«
Das ist wieder Chans Stimme. Ich höre ihm zu.
»Du wolltest Infos über Stardust, und die Straßengerüchte sagten, der Stoff kommt aus der Uptown. Dann, bei dem Endspiel vor ein paar Tagen, hast du gesagt, im Garten des Schwagers vom Mayor ist ein Drogenlabor in die Luft geflogen …« Er steht auf und geht zu Potters altem Comp. »Ich habe nicht in deinen Files gewildert, Donovan. Ich habe einfach nur kombiniert.«
Ich nicke nur. Klingt einleuchtend, was er da erzählt. Aber ist es auch die Wahrheit?
Plötzlich fällt ihm noch was ein. »Wer tatsächlich an deinen Files war, konnte ich nicht mehr feststellen, tut mir Leid.«
»Schon gut. Kommt nicht mehr drauf an.« Irgendwann kommt es auf gar nichts mehr an. Ich trink das kalte Bier, während Chan vor dem Apple/Kenzo sitzt und den Chip einliest. Ganz allmählich rückt die Realität wieder an ihren Platz.
Irgendwann hör ich ihn kichern. Bin schon hinter ihm und seh über seine Schulter auf das Display. »mutter gans macht sich heut fein – heute gibt es gänseklein – mit dem lieben hänschenklein –«
»Was soll der Schwachsinn bedeuten, Chan, ein Geheimkode?«
»Keine Ahnung«, er sieht ratlos aus, doch er klingt zuversichtlich, »aber ich krieg’s noch raus.«
Chan denkt, kombiniert, ist ganz in seinem eigenen kleinen Eisbrecher-Universum, hat keinen Blick für meine Frustration. Ich beobachte ihn eine Weile. Er schwitzt nicht einmal, fühlt sich wohl bei dreiundvierzig Grad. Prämienfall für Mutter Gans, verdammt, verdammt. Immerhin ist er weiter gekommen als ich. Hat aus dem Zeichenunsinn Unsinnswörter gemacht, na toll. Ich fange an, im Zimmer auf und ab zu rennen, stoße gegen Möbelecken, werde hektisch.
»Geh und nimm ’ne Dusche, Donovan.« Sagt’s ohne aufzusehen.
»Mal wieder illegal den Verteiler angezapft?«
Chan schweigt, hintergründig, asiatisch. Aber wer stellt schon Fragen. Die Hitzewelle dauert jetzt fast zwölf Wochen an, und das bei rationiertem Brauch-und Trinkwasser. Amokwetter, sagen sie dazu in der DWNTN-Zentrale.
Mit nassen Haaren genieße ich jeden Tropfen, der mir über den Rücken läuft, hol mir die nächste Dose Bier. Chan und Mutter Gans.
Chans Blicke wandern über meinen nackten Körper.
»Zu schade, dass du kein Junge bist.« Er sieht mich mit einer Mischung aus Bedauern und Spott an.
Ich nehme das als Kompliment. »Lass gut sein«, sag ich. »Bist sowieso nicht mein Typ.«
»Weiß ich längst«, brummt er. Ist mit seinen Gedanken schon wieder im Cyberwunderland.
Ich lasse das Wasser an meinem Körper trocknen, steige in den verblichenen Karate-Anzug, den Chan für diese Zwecke bereithält, und sehe ihm wieder über die Schulter.
»Wie läuft’s jetzt?«
»Schlecht.« Falsche Frage zur falschen Zeit. Er lehnt sich zurück und beobachtet das Display, mürrische Linien im Gesicht. Dass es einen Kode geben könnte, der sich ihm widersetzt, trifft ihn schwer in seiner Hackerehre. »Hab Mutter Gans zum Uni-Com-Rechner rübergeschoben, mal abwarten, was rauskommt.«
Ich frage ihn nicht, was er mit Uni-Com, der größten und gesichertsten Datenbank des Landes zu schaffen hat. Chan hat eben seine Methoden und Verbindungen.
Ich schüttle meine Klamotten aus, bevor ich sie nach unten in Tante Wu’s Wäscherei schicke. Etwas fällt zu Boden. Ein kleines Buch mit Ledereinband. Wie konnte ich das vergessen? Ich blätter planlos die eng beschriebenen Seiten um. Plötzlich ergibt das
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