Downtown Blues
hat Chan gesagt. Hat mir gerade wieder das Leben gerettet. Wenn das so weiter geht, muss ich ihn noch zu meinem Partner machen. Würde ihm so passen. Und mir? Ich weiß nicht – gibt vermutlich Schlimmeres.
Enge Gassen, Hinterhöfe mit geheimen Durchgängen, mein Spürhund kennt jeden Fluchtweg – ist eine Frage des Überlebens im Barrio-Revier. Und ich dachte immer, das wär meine Stadt, doch wer sie wirklich kennt, ist mein Spürhund. Hält ihn aber nicht davon ab, ständig über die Schulter zu sehen. Gut so. Noch mehr »Zufälle« könnten tödlich sein.
Noch ein Hinterhof, noch ein Durchbruch in der Mauer, noch eine Treppe durch den Keller, eine Feuerleiter übers Dach. Abbruchhäuser, Notunterkünfte, Crackhäuser – und dann sind wir plötzlich mitten im Barrio.
Siesta-Zeit, heißer Mambo aus klirrenden Ghettoblastern, scheppernde Mülltonnen, Flüche, laszives Lachen. Die Mauern sind gesättigt von jahrzehntealten Kochdünsten – Bohneneintopf und gebackene Maisfladen. Dies ist nicht die Welt der Capistranos und anderer Barone, hier wohnen nur die, die es nicht geschafft haben, es nie schaffen werden. Dies ist die Welt der ewig Hoffenden. Der nächste Deal ist es, er bringt mich ganz nach oben, Compadre.
Nur ein paar Blocks im Halbschatten, dann eine weitere Kellertür, Stufen voll Müll, unsichtbare rotäugige Albino-Ratten, verborgen in Gerümpel und im Dunkel – noch eine Treppe, sie führt ins Freie – wir sind da: stehen vor einem dieser verkommenen Backsteinhäuser aus dem letzten Jahrhundert, gebaut für brave, arbeitende Bürger und ihre Familien – Sanierungsgebiet nennen sie es in der DWNTN-Verwaltung. Die Gegend, in der sich korrupte Politiker die Taschen von Spekulanten stopfen lassen und Versprechen geben, die am Wahlabend schon längst Geschichte sind.
Der Professor gehörte nicht zu den Wohlfahrtsempfängern, die sonst in dieser Straße leben, er war nur einer dieser beharrlichen Oldtimer, die sich von der Zeit nicht vertreiben lassen.
Armer alter Mann? Alles nur Mache, alles nur Schein, um ungebetene Besucher fern zu halten? Infrarotschranken und BioMet-Scanner an der dicken Stahlplattentür vor Potters Loft. Alles gut getarnt. Sicherheit von höchstem Standard. Nicht sicher genug. Chan stößt die angelehnte Tür auf. Jemand ist schon vor uns da gewesen, jemand, der es sehr eilig hatte und etwas sehr dringend suchte. Wie ist er reingekommen? Dafür gibt es hochbezahlte Spezialisten. Spezialisten, die sich zum Beispiel eine Firma wie SpaceCraft leisten kann.
Chan schlendert durch das Chaos, der Spürhund aus Chinatown. Von den Wänden gerissene Bilder, zersplittertes Glas, zerfetzte Tapeten. Umgestürzte Möbel, aufgeschlitzte Polster. Bin ich hier in einem schlechten Film? Mein erster Prämienfall, ha! Verdammt, ich lasse mich nicht so schnell entmutigen. Irgendwas stimmt hier nicht.
Ich muss mich beschäftigen, vergessen. Lauf planlos durch das Loft, heb im Gehen eins von den kaputten Bildern auf, irgendeine Urkunde von der NASA. Ein altes Foto, noch auf echtem Hochglanzpapier. Professor Jonathan Calvin Potter, Arm in Arm mit einem Astronauten. Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Ich versuche die Widmung zu lesen. »Dein alter Kumpel Nick«. Boah, jetzt bin ich beeindruckt! Commander Nick Berringer, der Marspionier. Wer war dieser Potter, J.C. – Genie oder größenwahnsinniger Spinner? Schalten Sie die Spätnachrichten auf Kanal 11 ein.
Brannigan sagte: »Ich kenne den Mann«. Alle scheinen ihn gekannt zu haben, nur ich nicht. Und wo sind die Medien-Typen? Wie konnte ein so wichtiger Mann so unwichtig sterben?
Mit einem Tritt kicke ich eine kaputte Soundbox mit heraushängender Membrane gegen die Wand. »Jede Wette, die Cops haben schon alles Verwertbare rausgeschleppt«, fluche ich. Was können wir hier noch finden?
Unter den Überresten eines Arbeitstisches liegt ein schmaler, rechteckiger Kasten. Ich ziehe ihn unter dem zersplitterten Echtholz vor. Es ist ein alter Comp, einer von diesen Dingern mit Keyboard zur Dateneingabe. Das schwarze Plastik ist an der Unterseite abgesplittert, ich sehe geschredderte Chips und Speicher. Scheiße.
Chan sieht mir über die Schulter. »Was gefunden?«
»Ein Personal Computer«, sage ich. »Hat aber nur noch Schrottwert.«
»Nein, ein Apple/Kenzo G6 Powerbook«, verbessert er mich. »Werden seit fast fünfzig Jahren nicht mehr gebaut, ein Klassiker.« Er nimmt mir das Teil aus der Hand. »Den werd ich mir mal in Ruhe ansehen. Gut
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